Von Alexander Fanta und Ingo Dachwitz
Die EU-Kommission plant offenbar ein eigenes Gesetz zur Regulierung von politischer Werbung im Netz. Dieser soll „erhöhte Transparenzpflichten“ für Werbefirmen und ihre politische Kundschaft, aber auch für Datenhändler und Plattformunternehmen wie Google und Facebook mit sich bringen. Einen Gesetzesentwurf möchte die Kommission im dritten Quartal 2021 vorlegen, berichtet das französische Politikmedium Contexte unter Berufung auf ein vertrauliches Dokument. Inkrafttreten könnte das Gesetz ab 2023.
Die Ankündigung der strengeren Regeln für politische Werbung ist Teil des Europäischen Aktionsplans für Demokratie, den die Kommission zusammen mit dem Digitale-Dienste-Gesetz am 2. Dezember vorstellen möchte. Gemeinsam sollen die beiden Maßnahmenkataloge neue Regeln für die digitale Welt schreiben und die Macht der Digitalkonzerne beschränken.
Das Digitale-Dienste-Gesetz soll nach Spekulationen in Brüssel unter anderem allgemeinere Transparenzregeln formulieren, die alle Formen digitaler Werbung betreffen. Diese Regeln möchte die Kommission aber überdies mit einem eigenen Gesetz für politische Inhalte nachschärfen. Sie entspricht damit Wünschen des Europaparlaments, dass sich in einer Resolution für strenge Regeln gegen maßgeschneiderte Werbung ausgesprochen hatte.
Schranken für politisches Microtargeting
Spätestens seit dem Skandal um Facebook und Cambridge Analytica sowie die mutmaßlich russische Einmischung im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 herrscht Sorge vor der Manipulationsmacht digitaler politischer Kommunikation. Dabei geht es sowohl um Desinformation als auch um politisches Microtargeting, also die gezielte Ansprache möglichst kleiner Gruppen auf Basis ihrer Datenprofile. Diese können neben soziodemographischen Daten auch Informationen über Interessen, das Online- und Einkaufsverhalten, politische Orientierungen und psychologische Muster enthalten. Bislang weigern sich die Parteien in Europa, hier für Transparenz zu sorgen.
Das Gesetz für Online-Werbung soll nun offenbar maßgeschneiderte Werbung für kleinste Gruppen von Nutzenden einschränken. Das Gesetz könnte sich aber auch auf Verhaltensanalysen basierte Anzeigen begrenzen, berichtet Contexte unter Berufung auf den Entwurf. Dieser erwähnt zudem die mögliche Schaffung einer Veröffentlichungsverpflichtung für Anbieter über die Höhe der Werbeausgaben für einzelne Kampagnen und die verwenden Targeting-Kriterien.
Facebook und Google veröffentlichen auf öffentlichen Druck hin seit einiger Zeit bereits freiwillig Archive mit politischer Werbung auf ihren Plattformen, deren Transparenz wird jedoch von Forscher:innen als unzureichend kritisiert. Insbesondere fehlen die Targeting-Kriterien, mit denen Werbetreibende die Zielgruppen für ihre politischen Botschaften zuschneiden. Twitter verbot angesichts der immer stärkeren Kritik unterdessen politische Werbung auf seiner Plattform.
Wichtige Definitionsfragen offen
Contexte zufolge hat die Kommission derzeit noch nicht definiert, wo die Linie zwischen politischer und anderer Werbung verläuft. Ob etwa jede Anzeige mit Bezug zu einem politischen Thema oder nur Werbung von Politiker:innen und Parteien von den Regeln betroffen ist, wird einen erheblichen Unterschied ausmachen. Als Twitter beispielsweise seinen Bann politischer Werbung verkündete, begehrten Vereine und Nichregierungsorganisationen dagegen auf, weil sie sich zu unrecht in ihren Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkt sahen.
Unklar ist auch, ob die Regeln in Form einer Verordnung oder einer Richtlinie umgesetzt werden sollen.
Die EU drängt die großen Plattformkonzerne und die gesamte Online-Werbeindustrie seit längerem zu strengerer Kontrolle bei politischen Inhalten, bislang beließ es die Kommission allerdings bei freiwilligen Selbstverpflichtungen der Branche. Spätestens seit dem Skandal um Facebook und Cambridge Analytica geht in Brüssel die Sorge um, dass unkontrollierte, unregulierte politische Werbung im Netz zu einer Gefahr für den politischen Prozess werden könnte. Dazu gehört auch die einfache Verbreitung von Desinformation auf den Plattformen.
Solche Sorgen schürten zuletzt etwa falsche Behauptungen und manipulative Taktiken von Donald Trump bei der US-Wahl, aber auch wachsende Unruhe über das intransparente Verhalten der Plattformen. Für Aufsehen sorgte etwa die Feststellung, dass Trump für Werbung auf Facebook weniger zahlte als sein Herausforderer Joe Biden.
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Titelbild: © Frank May/DPA/TASS
Zu den Autoren:
Alexander Fanta berichtet als Brüssel-Korrespondent von netzpolitik.org über die Digitalpolitik der Europäischen Union. Er recherchiert zu neuen Gesetzen und Initiativen in Sachen Datenschutz, Plattformregulierung und staatlicher Überwachung.
Ingo Dachwitz ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler, Redakteur bei netzpolitik.org und Mitglied beim Verein Digitale Gesellschaft. Er schreibt über Datenpolitik, Überwachungskapitalismus und den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit.
Der Artikel „EU plant Gesetz für politische Werbung im Netz“ von Alexander Fanta und Ingo Dachwitz ist ursprünglich auf der Portal „Netzpolitik.org“ erschienen und wird unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0 veröffentlicht.
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