Von Lucas Leiroz
Die Lage in Äthiopien verschärft sich weiter. Der Ministerpräsident des Landes Abiy Ahmed hatte den Rebellen kürzlich ein Ultimatum gestellt, demnach sich in alle Milizenführer der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) innerhalb von 72 Stunden ergeben müssten. Die Rebellen weigerten sich und so gingen die Kämpfe weiter. Aus diesem Grund hat die äthiopische Regierung eine "Endoffensive" in der Provinz Tigray angeordnet.
Experten beunruhigt jedoch der Kollateralschaden, der bei dem Kampf gegen die Milizen verursacht wird. Am 26. November hatte die äthiopische Menschenrechtskommission öffentlich zu dem Geschehen Stellung bezogen und ernsthafte Bedenken hinsichtlich der möglichen Folgen einer Gewaltzunahme bei der "Endoffensive" seitens der Regierungstruppen geäußert. Zudem betonte die Kommission, dass das Hauptanliegen in der gegenwärtigen Phase des Konflikts darin bestehe, zivile Schäden zu vermeiden. Laut einer in den sozialen Medien veröffentlichten Erklärung des äthiopischen Premierministers würden die Regierungstruppen Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass Mekelle mit ihren mehr als 500.000 Einwohnern (die Hauptstadt der Provinz) während der Militärkampagne nicht "schwer beschädigt" werde. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu dem, was zuvor am Anfang der vergangenen Woche verlautet wurde, als die Militärs Terror in der Region verbreitet und zugleich damit gedroht hatten, sie würden "keine Gnade zeigen", falls die Mekelle-Bevölkerung die Rebellen unterstützen würde.
Abiy Ahmed hatte am 4. November das Militärunternehmen gegen die Tigray-Rebellen begonnen und warf ihnen vor, Armeestützpunkte angegriffen zu haben und das Land destabilisieren zu wollen, um letzten Endes die Regierung zu stürzen. Regierungsbeamte in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba bezeichnen die Offensive in Tigray als "Strafverfolgungsaktion", die darauf abzielt, "verräterische" Rebellenführer zu beseitigen und die Zentralgewalt im Land wiederherzustellen. Die Rebellen ihrerseits erklärten, dass sie ihre legitimen und durch das dezentrale Verfassungssystem Äthiopiens garantierten Rechte verteidigten. Seltsamerweise identifizieren sich die Rebellen selbst als "gesetzestreu", während die Regierung sie als Kriminelle und nicht als formellen Feind betrachtet, mit dem man Verhandlungen führen und Abmachungen treffen kann.
Diese Aspekte deuten darauf hin, dass der äthiopische Konflikt in der Tat auf einen Bürgerkrieg zusteuert. Beide Seiten beanspruchen Legitimität und beschuldigen sich gegenseitig, gegen Rechtsnormen verstoßen zu haben. Zu betonen ist auch, dass die Volksgruppe der Tigray die zahlenmäßig viertgrößte ethnische Gruppe innerhalb der äthiopischen Bevölkerung ausmacht, was zu einem großen Volksaufstand führen kann, und verstärkt damit die Befürchtung einer möglichen humanitären Katastrophe.
Die Zahl der bisher in dem Konflikt getötetet Menschen ist nicht genau bekannt, vermutlich aber sind Hunderte, wenn nicht Tausende bereits ums Leben gekommen. Die größte Herausforderung für die Behörden war jedoch das Problem der Vertreibung. Mehr als eine Million Äthiopier wurden infolge des Konflikts vertrieben und mussten von Region zu Region flüchten, innerhalb und außerhalb Äthiopiens. Ein großer Strom von Menschen ist dabei, das Land auf der Suche nach einem Zufluchtsort und besseren Lebensbedingungen in Richtung Sudan zu verlassen. Aber auch dieses afrikanische Land hat seine sozialen Probleme. Zudem ist der Sudan nicht dazu bereit, eine derart hohe Zahl an Migranten aufzunehmen, was zeigt, das die Äthiopien-Krise auch in anderen Orte des afrikanischen Kontinent spürbar wird.
Sicherlich wäre eine starke internationale Zusammenarbeit zur Gewährleistung von Frieden der beste Weg für die Lösung der Krise, aber die Anstrengungen in dieser Richtung - die gemeinsam von der Afrikanischen Union und den Vereinten Nationen ausgehen sollten - waren minimal. Bei den Vereinten Nationen gibt es bereits Spekulationen über eine "humanitäre Einmischung" in Äthiopien, die von Premier Abiy ordnungsgemäß abgelehnt wurde. Humanitäre Interventionen sind die extremste und gewalttätigste Form der Mittel, die laut Völkerrecht der UNO zur Verfügung stehen, und sollten nur als letzte Option in Betracht gezogen werden, falls alle anderen Alternativen scheitern. Daher ist es derzeit unangemessen, über Interventionen in Äthiopien zu spekulieren, da keine Anstrengungen bisher unternommen wurden, um einen Dialog zwischen den Kriegsparteien aufzubauen.
Die die Region Tigray traf zudem auch eine erhebliche Nahrungsmittelkrise infolge des Konfliktes. Um den Personenverkehr während der Kämpfe zu unterbinden, haben die Regierungstruppen Straßensperren eingerichtet und für eine strenge Einhaltung dieser Maßnahmen gesorgt. Das ist ein dermaßen schwerwiegender Eingriff, dass selbst die internationalen NGOs, die bei der Verteilung von Lebensmitteln an die Armen vorort helfen, am Transport der Nahrungsmittel gehindert werden. Tonnen von Lebensmitteln lagern in Depots, ohne verteilt zu werden, während Tausende von Menschen unter Hunger leiden - und gleichzeitig der unmittelbaren Gefahr von Angriffen seitens beider Konfliktparteien ausgesetzt sind. Das Be- oder Verhindern der Bereitstellung von humanitärer Hilfe ist nach dem Völkerrecht illegal, wodurch sich Äthiopien international strafbar macht. Gleichzeitig scheint es jedoch keine viel bessere Alternative zu sein, der Zivilbevölkerung zu erlauben, sich vor dem Hintergrund von Kampfgeschehen und Schießereien auf den Straßen aufzuhalten. Darüber hinaus führen solche Gefahren und Hunger zu einer noch größeren Anzahl erzwungener Migrationen.
Sofern also die Regierung bei ihrer "Endoffensive" die Rebellen nicht tatsächlich besiegt, werden sich Bürgerkrieg sowie soziale und humanitäre Katastrophen am Ende sehr rasch im gesamten Land ausbreiten - unabhängig davon, welche der Seiten nach äthiopischem Gesetz im Recht ist.
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Titelbild: © Nariman El-Mofty/AP Photo
Dieser Artikel erschien ursprünglich im englischen Original auf InfoBrics.org und wird von der Redaktion übersetzt wiedergegeben.
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