Von Lothar Brock
Spricht man heute bezogen auf die Zeitgeschichte von einer kooperativen Weltordnung, meint man meist die Ordnung, die sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts herauszubilden begann. Dieser Prozess manifestierte sich in einer ganzen Reihe von Entwicklungen, die die Welt dem Gründungszweck der Vereinten Nationen näher zu bringen versprachen – nämlich die Welt von der Geißel des Krieges zu befreien (siehe Infobox auf der folgenden Seite).
Diese Entwicklungen reagierten nicht einfach auf das Ende der Blockkonfrontation. Sie zeichneten sich bereits während dieser Konfrontation ab. Das gilt insbesondere für die Vertrauensbildung zwischen den Antagonisten im Rahmen der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ sowie deren Konzipierung als fortlaufender Verhandlungsprozess (KSZE-Prozess) und die umfassenden Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle, die schließlich in die Abrüstung der Mittelstreckenraketen mündeten.
Die aufgeführten Entwicklungen konnten als Bausteine für eine neue Verfahrensweise der internationalen Politik unter breiter Beteiligung der sich neu formierenden Zivilgesellschaft gelten, nämlich für „Global Governance“. Der Begriff war in den 1990er-Jahren in aller Munde – heute droht er zu einer nostalgischen Floskel zu verkommen. Aus „Global Governance“, verstanden als „Governance without government“, ist „government without governance“ geworden: Ost und West bedrohen sich wieder, die Rüstungskontrolle ist tot, die globalen Militärausgaben steigen, die Lage der Menschen in Konfliktregionen ist desaströs, die Zahl der Menschen, die ihr Heil in Flucht und Migration suchen, wächst, der Klimawandel geht ungebremst weiter, an die Stelle multilateraler Welthandelsabkommen ist ein neuer (an die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts erinnernder) aggressiver Bilateralismus getreten, die Idee einer Internationalen Rechtsordnung gerät ins Wanken, die Verabsolutierung des Eigenen und der Hass auf alles andere nimmt Dimensionen an, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren – aber das alles nicht erst seit der Präsidentschaft Donald Trumps.
Kooperative Weltordnung als Hegemonie der liberalen Demokratien
Die in den 1990er-Jahren ausformulierten normativen Orientierungen und programmatischen Ansatzpunkte für Global Governance (Menschenrechte, Demokratie, gute Regierungsführung, Nachhaltigkeit) wurden in der Regel durch die Mitglieder der Vereinten Nationen als Ausdruck universell geltender Werte bestätigt. Die liberalen Demokratien nahmen für sich in Anspruch, diesen Werten zu entsprechen. Das wiederum bot die Möglichkeit, eigene Präferenzen und Interessen als Weltordnungspolitik durchzusetzen und im Namen universeller Werte zu legitimieren.
Die liberalen Demokratien waren in der Tat die einzige Staatengruppe, die am Ende des Kalten Krieges weltordnungspolitisch handlungsfähig war. Die Sowjetunion war zerbrochen, Chinas Führung war durch die brutale Niederschlagung der politischen Proteste auf dem Tiananmen-Platz ideologisch geschwächt und wirtschaftlich noch nicht hinreichend erstarkt. In zahlreichen Staaten oder Regionen des globalen Südens sowie auf dem Balkan tobten brutale Kriege um die Neuverteilung von Macht und Reichtum nach dem Zusammenbruch der klientelistischen Strukturen, die während des Kalten Krieges entstanden waren. Unter diesen Bedingungen entfaltete sich die Weltordnungspolitik der liberalen Demokratien als ein hegemoniales Projekt.
Die Anerkennung der Menschenrechte und das Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie als Standards angemessener Staatlichkeit wurden mit den ordnungspolitischen Vorgaben einer neo-liberalen Weltwirtschaftspolitik verknüpft („Washington Consensus“). Gleichzeitig wurden von den USA und ihren „Koalitionen der Willigen“1 völkerrechtliche Einschränkungen der eigenen Handlungsfreiheit im Umgang mit Konflikten ignoriert (Kosovo 1999), umgangen (Afghanistan 2001, Irak 2003) oder eigenwillig interpretiert (Libyen 2011).
Die Widersprüche in der hegemonialen Weltordnungspolitik der liberalen Demokratien wurden im Westen selbst schon frühzeitig zum Streitgegenstand. Im Vordergrund stand dabei die militärische Interventionspolitik der USA und der jeweiligen „Koalitionen der Willigen“, die den USA folgten. Der Streit darüber eskalierte bis hin zu dem Punkt, an dem der Westen in ein „altes“ und ein „neues Europa“ zu zerfallen drohte und die NATO als Inkarnation des Westens durch die erwähnten Ad hoc-„Koalitionen der Willigen“ ersetzt zu werden schien.
Entwicklungen, die die Hoffnung auf eine kooperative Weltordnung stützten
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Titelbild: Pixabay
Zu dem Autor: Lothar Brock war von 1979 bis 2004 als Professor für Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt tätig. An der HSFK leitete er fast 25 Jahre (1981 bis 2005) die Forschungsgruppe „Demokratisierung und der innergesellschaftliche Frieden“. Bis heute ist Brock assoziierter Forscher der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung am Leibniz Institut in Frankfurt am Main.
Der Artikel „Investitionen in den Frieden“ von Lothar Brock ist ursprünglich auf dem Portal „PRIF Blog“ erschienen und wird unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-ND 4.0 veröffentlicht.
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