Von Lucas Leiroz
Der Rückgang der monetären Hegemonie des Dollars schreitet weiter rasant voran. Immer mehr Vereinigungen und Staaten unternehmen Anstrengungen, ihre eigenen Währungen bei internationalen Verhandlungen voranzubringen, wodurch die US-Währung lediglich zu einer von mehreren Transaktionsmöglichkeiten mutiert. Die Europäische Union hat nun einen Plan angekündigt, den Euro als internationale Währung zum Nachteil des Dollars zu priorisieren. Diese Entwicklung ist das währungspolitische Symptom eines geopolitischen Übergangs von einer unipolaren zu einer multipolaren Weltordnung und kann deshalb nicht mehr eingedämmt werden.
Die Europäische Union hat kürzlich einen neuen Wirtschaftsplan annonciert, bei dem der Fokus auf die Stärkung des Euro als Weltreservewährung und Gegenpart zum Dollar gelegt wird, und der auch Vorgaben wie die Emission spezieller Euro-Anleihen und die Schaffung des digitalen Euros enthält. Alle Staaten der Gemeinschaft sind dazu aufgerufen, die Stärkung des Euro zum Schutze des europäischen Finanzsystems zu fördern.
Obwohl der Rückgang bei den Transaktionen in US-Dollar insgesamt einen neuen globalen Trend darstellt, gilt es zu untersuchen, welche Faktoren die Entscheidung Europas direkt beeinflusst haben. Zweifellos gehört zu diesen Faktoren die amerikanische Sanktionspolitik, wenn man bedenkt, dass die Sanktionen eine unmittelbare Wirkung auf den europäischen Markt haben. Die anhaltenden Maßnahmen der Wirtschaftsbeschränkungen gegen Menschen, Unternehmen, Organisationen oder Staaten, die mit Ländern wie dem Iran, der mit Washington verfeindet ist, oder Projekten wie Nord Stream 2 Geschäfte machen, hätten die Europäische Gemeinschaft an die Grenze der Toleranz bringen können. Aus diesem Grund sah sich die EU dazu veranlasst, einen Wirtschaftsplan zu entwickeln, der eine größere Souveränität gewährleistet. Unerlässlich dafür ist allerdings die monetäre Autonomie.
Es ist unbestritten, dass die Wahl von Joe Biden eine Möglichkeit darstellt, die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU wiederzubeleben. Zukünftige gute Beziehungen hängen jedoch grundsätzlich davon ab, wie sehr Biden die europäischen Interessen respektieren wird. Die Tragweite des Trump-Vermächtnisses ist hierbei immens. Der ehemalige "Westblock", der sich durch das Bündnis auf Grundlage gemeinsamer ideologischer Prinzipien sowie politischer und wirtschaftlicher Interessen zwischen Europäern und Amerikanern ausgezeichnet hatte, ist vollständig zusammengebrochen. Trump hatte diese beiden Pole mit seinem nationalistischen Populismus weiter voneinander gedrängt, und Biden verspricht, diesen Prozess rückgängig zu machen. Bidens ideologisches Engagement für Washingtons globale Hegemonie kann die europäisch-amerikanische Reintegration jedoch behindern, weil diese den europäischen Interessen direkt schaden wird. Daher stellt die Ankündigung eines neuen Wirtschaftsplans und der Beginn der Internationalisierung des Euro im gegenwärtigen globalen Kontext eine echte "Warnung" Europas an Biden dar, damit der neue Präsident die Unvermeidlichkeit der multipolaren und polyzentrischen Welt begreift.
Brüssel macht vor allem in Anbetracht derartiger Maßnahmen Washington offiziell seine Skepsis gegenüber Bidens Fähigkeit deutlich, "den Multilateralismus wieder aufzubauen" (eines der Versprechen des Demokraten), und dies erst recht im Rahmen des Dollarsystems. Und das ist kein Zufall: Biden scheint stärker in die humanitäre und umweltpolitische Agenda eingebunden zu sein als Trump, behält aber mehrere Aspekte der Außenpolitik seines Vorgängers bei, wie etwa den direkten Widerstand gegen China. Dieses Land zog als größte aufstrebende Weltmacht die Aufmerksamkeit der Europäer auf sich und unterzeichnete Ende letzten Jahres ein Abkommen über gegenseitige Investitionen mit der EU. Angesichts der Tatsache, dass China der am meisten fortgeschrittene Staat ist, der den Dollar bei internationalen Transaktionen ersetzt, und dass Europa aufgrund seiner neuen Beziehungen zu Peking sicherlich von den USA sanktioniert wird, wie könnten die Europäer ihre Investitionen in Alternativen zum Dollar dann noch unterlassen?
Parallel zu diesen Entwicklungen hat Russland einen großen Erfolg bei seiner De-Dollarisierung erzielt. Zum ersten Mal in der Geschichte übersteigen Russlands Goldreserven die eigenen Dollarreserven. Aktuell machen die Edelmetallreserven mehr als 23 Prozent der gesamten Währungsreserven des Landes aus, wobei der Anteil der Reserven in der US-Währung 22 Prozent beträgt – im Vergleich dazu lag der Dollaranteil 2018 bei 40 Prozent. Darüber hinaus wird die Gesamtaktiva der Russischen Zentralbank zu einem Drittel in Euro und zu etwa zwölf Prozent in Yuan gehalten. In Dollar gerechnet belaufen sich die Währungsreserven auf eine Summe von 583 Milliarden.
Was wird also die Zukunft für die amerikanische Währung bringen, wenn China, Russland und Europa die De-Dollarisierung stärker forcieren? Gewiss reichen diese Faktoren immer noch nicht dafür aus, um von einem "Ende des Dollarzeitalters" zu sprechen. Aber sie stellen einen enormen globalen Trend dar, der, wenn er sich verbreitet, den Zusammenbruch des gegenwärtigen Systems verursachen kann. Und ersetzt würde das nicht durch eine andere hegemoniale Währung, sondern durch eine monetäre Multipolarität. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Europa seine jüngste Entscheidung bezüglich des Euro revidieren wird, für Washington hingegen ist es einfacher, einen europäischen Rückzug anzustreben, als sich den chinesischen und russischen Plänen entgegenzustellen. Man kann also auch von Biden eine Initiative erwarten bei der er seine Wirtschaftsdiplomatie verstärkt, anstatt Europa zu sanktionieren, um dadurch den Ansatz in Bezug auf China und die De-Dollarisierung umzukehren. Deshalb ist es anzunehmen, dass sich Europa im Moment am Scheideweg befindet zwischen der Rückkehr zu engeren Beziehungen zu den USA – motiviert durch eine gemeinsame ideologische Agenda mit Biden – und dem Sprung zur totalen Souveränität. Bisher haben die Europäer erhebliche Fortschritte bei dem Aufbau einer multipolaren Welt erzielt, allerdings wird Washington versuchen, das Ganze schnellstmöglich wieder rückgängig zu machen.
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Dieser Artikel erschien zuvor im englischen Original auf InfoBrics.org und wird von der Redaktion übersetzt wiedergegeben.
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