Von Andreas Zumach
Für die grosse Mehrheit der Weltbevölkerung ist eine baldige Versorgung mit Impfstoffen und anderen medizinischen Gütern zur Bekämpfung der Corona-Pandemie weiterhin nicht in Sicht. Erforderlich dazu wäre die Aussetzung von Patentrechten der grossen, weltmarktbeherschenden Pharmakonzerne, doch diese scheiterte am Donnerstag auch in einer fünften Beratungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO). USA, Deutschlands, Schweiz und anderer Industriestaaten, in denen diese Konzerne ihren Sitz haben, leisteten erfolgreich Widerstand.
Bereits im September letzten Jahres hatten Indien und Südafrika in der WTO beantragt, es allen Mitgliedsstaaten freizustellen, für die Dauer der Pandemie geistige Eigentumsrechte auf medizinische Produkte auszusetzen, die im Kampf gegen die Pandemie gebraucht werden. Das würde eine weltweite Ausweitung der dringend benötigten Produktion von Impfstoffen, Tests, Medikamenten, Schutzmasken und Beatmungsgeräten ermöglichen und könnte so Millionen Menschen in den bislang völlig unterversorgten Ländern des Südens schneller Schutz bieten.
Mehrheit der Mitglieder unterstützt den Antrag
Die Möglichkeit zur Aussetzung von Patentrechten im Fall eines Gesundheitsnotstandes ist in dem 1994 zeitgleich mit der WTO-Gründung vereinbarten "Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum" (TRIPS) vorgesehen. Die Ratifizierung des TRIPS-Abkommen ist Vorbedingung für den Beitritt eines Landes zur WTO.
Bis gestern hatten über 100 der 164 WTO-Mitglieder ihre Unterstützung für den indisch-südafrikanischen Antrag erklärt. Doch für die Aussetzung des Patentschutzes ist nach den bislang praktizierten Verfahrensregeln der WTO ein Konsensbeschluss erforderlich. Dieser Konsens wurde gestern – wie bei den vorherigen vier Beratungsrunden zwischen Oktober bis Dezember letzten Jahres – in erster Linie von den Sitzstaaten der weltgrössten Pharmakonzerne verhindert: USA, Japan, Schweiz, Grossbritannien sowie den EU-Ländern Deutschland und Frankreich.
Eine weitere Beratung des TRIPS-Rates der WTO wurde gestern für den 23. Februar vorgesehen. WTO-Diplomaten aus Ländern, die den Antrag unterstützen, äusserten die Sorge, die Verhandlungen könnten sich sogar bis Ende des Jahres hinziehen. Es werde bereits erwogen, notfalls einen Mehrheitsbeschluss zu fassen.
"Nationale Kurzsichtigkeit"
"Ärzte ohne Grenzen", Oxfam und andere Nichtregierungsorganisationen kritisierten die "fortgesetzte Blockadehaltung" der Industriestaaten. "Kanzlerin Merkel hat vor knapp einem Jahr gesagt, dass ein Covid-19-Impfstoff ein globales öffentliches Gut sein wird und man an möglichst vielen Stellen auf der Welt Produktionskapazitäten für einen Impfstoff schaffen muss. Davon ist jetzt nichts mehr zu sehen", erklärte Marco Alves von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. Es sei "ein Skandal, dass von dem Bekenntnis zu globaler Weitsicht nur noch nationale Kurzsicht übriggeblieben ist".
Die auch beim jüngsten "Impfgipfel" in Berlin von den Pharmaunternehmen vorgebrachte Behauptung, eine signifikante Ausweitung der Produktion für Covid-19-Impfstoffe sei wegen technischer Schwierigkeiten oder des Mangels an Grundstoffen nicht möglich, wies Alves zurück. Als Vorbild nannte er die bereits seit Januar 2020 praktizierte und sehr erfolgreiche Kooperation zwischen dem britischen Hersteller Oxford-AstraZeneca und dem Serum-Institute of India. Die COVAX-Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur gerechteren globalen Verteilung von Impfstoffen, auf die Industriestaaten auch bei der gestrigen WTO-Sitzung wieder verwiesen, sei "keine Lösung des Problems", erklärte der Vertreter von Ärzte ohne Grenzen. Denn auch COVAX könne "nur die Impfstoffe verteilen, die zuvor auch produziert wurden".
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Titelbild: © Bruna Prado/AP Photo
Der Artikel „Arme Länder erhalten auch weiterhin kaum Impfstoffe“ von Andreas Zumach ist ursprünglich auf dem Portal „Infosperber.ch“ erschienen und wird unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-ND 4.0 veröffentlicht.
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