Von Paul Antonopoulos
Die Gasleitungen Nord Stream, Blue Stream, Turkish Stream, Jamal-Europa sowie Nord Stream 2 sind "blockfreie Pipelines", die russisches Gas nach Europa bringen und gleichzeitig US-Interessen außen vor lassen. Und wie bereits Nord Stream 2 soll künftig auch die sogenannte "islamische Pipeline" den politischen Entscheidungsträgern in Washington immensen Frust bereiten, da diese Leitung, wenn es denn zur Umsetzung des Projekts kommt, iranisches Gas über den Irak und Syrien nach Europa transportieren wird.
Obwohl im Westen als "islamische Pipeline" bezeichnet, wird die Gasleitung zwischen dem Iran, Irak und Syrien auch "Friendship-Pipeline" genannt. Dieses Projekt schien bereits tot zu sein, nachdem Syrien durch den anhaltenden Krieg, der sich sogar auf den Irak ausgeweitet hatte, verwüstet worden war. Hinzu kamen alle Sanktionen, die gegen den Iran eingeführt wurden. Erst kürzlich erklärte der syrische Elektrizitätsminister, Ghassan al-Zamil, dass das Projekt letztlich nicht aufgegeben werde.
Zamil verwies darauf, dass die Stromproduktion Syriens, aufgrund von Sanktionen und der Reduzierung des für die Arbeit der Kraftwerke benötigten Gas-Imports von 14 Millionen Kubikmeter auf 8,5 Millionen Kubikmeter, erheblich gesunken war. Syrien produziert derzeit 2.700 Megawatt Strom, was bei weitem nicht ausreicht, um die Bedürfnisse des Landes zu erfüllen. Aus diesem Grund hat Zamil das vermeintlich tote Pipeline-Projekt wiederbelebt, da es dazu beitragen kann, die Produktion von 5.000 Megawatt in Syrien zu gewährleisten.
Die erste Absichtserklärung in dieser Angelegenheit wurde 2011 unterzeichnet, als der Syrienkrieg begann. 2012, als sich der Krieg verschärfte, haben die iranischen, irakischen und syrischen Ölminister ein formelles Abkommen geschlossen, um den Transport des iranischen Gases durch ihre Länder an die libanesische Mittelmeerküste und von dort aus nach Europa einzurichten. Die Tatsache, dass iranische Energie an die europäischen Märkte gelangen könnte, ist aus Washingtons Sicht ein großes Problem, zumal die Friendship-Pipeline mit der geplanten Katar-Türkei-Gasleitung konkurriert, die hingegen von den USA gefördert wird. Die Katar-Türkei-Pipeline soll katarisches Gas über Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien in die Türkei transportieren. In der Türkei würde diese Leitung dann an die Transadriatische Pipeline (TAP) angeschlossen werden, die wiederum aserbaidschanisches Gas nach Europa bringt.
Die Katar-Türkei-Pipeline und die Gasleitung durch den Iran, Irak und Syrien würden die Abhängigkeit Europas von russischem Gas verringern. Jedoch ist das Umsteigen von Gas aus Russland auf das iranische Gas dem Unterfangen Washingtons, diese beiden Länder unter Druck zu setzen, gleichermaßen abträglich. Die Entscheidung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, die iranische Pipeline der Katar-Türkei-Pipeline vorzuziehen, ist der Hauptgrund dafür, warum Saudi-Arabien, Katar, Türkei und die USA sich dazu veranlasst sehen, radikale dschihadistische Gruppen in dem mittlerweile vom Krieg gebeutelten Syrien zu unterstützen.
Washington kann es nicht hinnehmen, dass der Iran, der eingekreist, sanktioniert und in jeder Hinsicht unter Druck gesetzt wird, triumphierend mit einer Gasleitung davonkommt, die die europäischen Märkte erreichen kann. Andererseits wurden – mit der Ausnahme einer direkten Invasion – alle Bemühungen, Assad in Syrien und die Mullahs im Iran zu stürzen, bereits unternommen und sind gescheitert, so dass die USA nicht viel mehr tun können, um den Pipeline-Bau zu verhindern.
Das Come-back des Bauvorhabens "Friendship-Pipeline" könnte einerseits auch erklären, warum Griechenland eines der ersten NATO- und EU-Staaten war, das seine Beziehungen zu Syrien wieder aufnahm, nachdem es diese 2012 beendet hatte. Und andererseits, warum der griechische Außenminister Nikos Dendias im vergangenen Oktober den Irak besucht hat, Anfang dieses Monats dann den irakischen Außenminister in Athen traf und warum er darüber hinaus in diesem Jahr – ungeachtet von COVID-19 und der Sicherheitslage – eine Dienstreise nach Bagdad, Basra und Erbil plant. Obwohl man die Türkei als Tor für die Energie aus dem Osten betrachtete, mit der europäische Märkte versorgt werden sollten, stellte Griechenland diese Annahme in Frage indem es selbst zu einem Energiehub wurde.
Damaskus wird aller Wahrscheinlichkeit nach keine Gasleitung in die Türkei akzeptieren, da Ankara große Teile Syriens besetzt hat und darüber hinaus der Hauptunterstützer und Geldgeber der dschihadistischen Gruppen ist, die gegen die syrische Armee kämpfen. Dies bedeutet, dass die Friendship-Pipeline zwangsläufig durch Zypern und Griechenland führen muss, um die Märkte Europas zu erreichen. Daneben gäbe es dann noch die Gasleitung EastMed, die israelisches und zyprisches Gas über Griechenland nach Europa transportiert, und die TAP-Pipeline, die aserbaidschanisches Gas über die Türkei, Griechenland, Albanien nach Italien bringt. In Aussicht stehen außerdem der Bau der Tesla-Pipeline, die an die Turkish Stream angeschlossen werden soll, die wiederum Mitteleuropa via Griechenland, Nordmazedonien und Serbien mit Gas versorgt, sowie der Bau der Verbindungsleitungen zwischen Griechenland und Bulgarien und zwischen Griechenland und Nordmazedonien.
Sollten alle geplanten Gasleitungen verwirklicht werden, dann würden die Gaslieferungen aus Russland, Aserbaidschan, Iran, Zypern und Israel allesamt über Griechenland gehen, bevor sie ihren nächsten Zielort erreichen, was Athen zu einer echten Energiedrehscheibe für Europa macht. Zudem muss berücksichtigt werden, dass Griechenland über riesige Gasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum verfügt, die es noch auszuschöpfen gilt. Eine Umwandlung Griechenlands in ein Energiehub ist kein Hindernis für die Friendship-Pipeline, würde seinen neu gewonnenen Status in diesem Zusammenhang jedoch definitiv festigen.
Elektrizitätsminister Zamil scheint zuversichtlich, dass die Gasleitung gebaut werden kann, obwohl die Türkei Nordsyrien besetzt hat und die von den USA unterstützten Separatisten die Gebiete östlich des Euphrat kontrollieren. Noch dazu ist der IS im syrischen Bürgerkrieg auch jetzt noch gespenstisch präsent. Trotzdem ist das größte Problem der Friendship-Pipeline die Unklarheit darüber, ob Europa dazu bereit ist, die gegen den Iran und Syrien gerichteten US-Sanktionen zu umgehen. Diesbezüglich könnte ein Erfolg von Nord Stream 2 den Weg für den Bau der Friendship-Pipeline ebnen. Insofern ist das ein weiter Grund dafür, warum Washington Deutschland mit Sanktionen für den bereitwilligen Bau einer für russisches Gas vorgesehen Pipeline droht.
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Titelbild (Archiv): © Ebrahim Noroozi/AP Photo
Dieser Artikel erschien zuvor im englischen Original auf InfoBrics.org und wird von der Redaktion übersetzt wiedergegeben.
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