Von Matthias Monroy
Die Regierungen aus Frankreich, Deutschland und Spanien wollen bis 2040 ein KI-basiertes „Luftverteidigungsnetzwerk“ entwickeln. Es besteht aus einem neuartigen Kampfjet, der von Drohnenschwärmen begleitet wird. Für die Vernetzung mit anderen Einheiten am Boden und in der Luft sorgt dann eine „Gefechts-Cloud“.
Die nächste Stufe zur Entwicklung eines neuartigen europäischen Luftkampfsystems wird sich abermals verzögern. Der Grund sind Kompetenzstreitigkeiten der beteiligten Rüstungskonzerne, die deshalb eine Frist zur Angebotsabgabe am 5. Februar verstreichen ließen. Das antwortete das Bundesministerium der Verteidigung auf Nachfrage des Bundestagsabgeordneten Tobias Pflüger. Demnach liegen noch nicht in allen Technologiebereichen „konsentierte Einzelangebote“ vor.
Zusammen mit Frankreich will Deutschland in den nächsten 20 Jahren ein atomwaffenfähiges „Future Combat Air System“ (FCAS) entwickeln, das im Kern aus einem neuartigen Kampfflugzeug besteht. Es soll zur sogenannten „sechsten Generation“ gehören und trägt deshalb die Bezeichnung „Next Generation Fighter“ (NGF). Inzwischen ist auch Spanien dem Vorhaben beigetreten.
Kampfflugzeug der „übernächsten Generation“
Genau genommen handelt es sich bei dem NGF sogar um eine „übernächste Generation“, denn die in Europa geflogenen Kampfflugzeuge, darunter auch der „Eurofighter“, verfügen nicht über Charakteristika der „fünften Generation“. Hierzu gehören Stealth-Fähigkeiten oder Computersysteme, die für ein verbessertes Situationsbewusstsein mit anderen Einheiten in der Luft und am Boden vernetzt sind. Alle Komponenten bilden auf diese Weise ein gemeinsames „Luftverteidigungsnetzwerk“.
Als Kampfflugzeug der „sechsten Generation“ soll der neue Kampfjet mithilfe Künstlicher Intelligenz auch mit anderen Angriffswaffen vernetzt werden. Hierzu wird das bemannte „Führungsflugzeug“ von Drohnenschwärmen („Remote Carrier“) begleitet. In dieser Funktion werden die unbemannten Luftfahrzeuge auch als „Loyal Wingman“ bezeichnet.
Das Drohnenfliegen im Schwarm firmiert als „Manned-Unmanned Teaming“ (MUT), der deutsche Ableger des europäischen Rüstungskonzerns Airbus hat dies bereits über der Ostsee erprobt. Dabei kann es sich um die bewaffnete „Eurodrohne“ handeln, über deren Entwicklung der Bundestag am 24. März entscheiden soll. Möglich ist auch der Abwurf von Schwärmen kleinerer Drohnen aus hochfliegenden Transportflugzeugen, wie es Airbus mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt simuliert hat.
Als drittes Element des FCAS fungiert schließlich eine „Air Combat Cloud“ (ACC), die für den Datenaustausch der vernetzten Systeme zuständig ist. Alle beteiligten Plattformen sollen auf diese Weise zu einem „System of Systems“ verschmelzen. Die deutsche Luftwaffe hat das Vorhaben auf einer Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie deshalb als „das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt“ bezeichnet.
Wer erhält ein Testflugzeug?
Nachdem der deutsch-französische Rat der Verteidigungsministerien beider Länder 2017 grünes Licht für die Entwicklung eines FCAS gab, beschlossen die Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen und Florence Parly 2019 eine erste „Demonstratorphase 1A“, die schließlich vor einem Jahr begann. Dabei sollten die Rüstungskonzerne der beteiligten Länder ein Konzept und Design für das Kampfflugzeug entwerfen und festlegen, welchen Antrieb und welche Technik an Bord ist. Zu diesem Zeitpunkt hatten Deutschland und Frankreich rund 65 Millionen Euro für eine Konzeptstudie ausgegeben, die „Phase 1A“ kostete weitere 155 Millionen.
Bis 2028 sollte anschließend in einer „Demonstratorphase 1B“ ein erstes flugfähiges Modell entstehen, das dann für Tests genutzt werden kann. Genau hierüber gibt es seit längerem Streit. So soll das spätere Flugzeug von der französischen Firma Dassault gebaut werden, die deutsche Sparte von Airbus wäre Hauptunterauftragnehmer. Dassault würde demnach auch den Demonstrator erhalten und für die weitere Entwicklung des Systems erproben dürfen. Airbus fordert hingegen, ebenfalls über ein Testflugzeug zu verfügen, der Demonstrator müsste also in zweifacher Ausführung gebaut werden. Bis 2030 soll dann ein erster Prototyp hergestellt werden.
Insgesamt gibt es zum FCAS sieben Technologiebereiche, für die jeweils ein Industriekonsortium zuständig ist. In der ersten Phase sind von diesen Bereichen fünf aktiviert, hierzu gehören das Kampfflugzeug sowie dessen Antrieb. Die Triebwerke sollen von dem aus Frankreich stammenden Safran-Konzern und der deutschen Firma MTU Aero Engines gebaut werden, nun wird auch der spanische Hersteller ITP ins Boot geholt.
Für den Bereich „Unbemannte Komponenten“ zur Begleitung des Kampfflugzeugs mit Drohnen ist ebenfalls Airbus zuständig, als Hauptunterauftragnehmer fungiert die französische Sparte des europäischen Raketenherstellers MBDA. Zur weiteren Entwicklung des FCAS-Gesamtsystems kooperieren Airbus, MTU und MBDA im Bereich „Programmkonsistenz“.
Mit dem Beitritt Spaniens übernahm der spanische Rüstungskonzern Indra ebenfalls eine führende Rolle im FCAS-Projekt. Im Herbst haben die drei beteiligten Regierungen Indra mit der Leitung des Technologiebereichs zur Entwicklung einer „innovativen Sensorsuite“ betraut. Weitere Auftragnehmer sind der französische Thales-Konzern sowie ein Verbund der vier deutschen Unternehmen Hensoldt, Diehl Defence, ESG und Rohde & Schwarz, die sich unter dem Kürzel FCMS („Future Combat Mission Systems“) zusammengeschlossen haben. Alle Firmen sind traditionelle Partner der Bundeswehr. An der Airbus-Ausgründung Hensoldt hatte sich die Bundesregierung – vermutlich angesichts der Beteiligung am FCAS – erst kürzlich eine Sperrminorität gesichert.
Mögliche Gesamtkosten von 500 Milliarden Euro
Im Sommer soll die „Demonstratorphase 1A“ enden. Welche Kosten für die nächste Phase „1B“ anfallen, kann die Bundesregierung wegen des noch ausstehenden Angebots nicht angeben. In einem Dokument der französischen Nationalversammlung heißt es, dass allein der Demonstrator rund 12 Milliarden Euro kosten könnte. Die Entwicklung des gesamten FCAS wird auf über 100 Milliarden Euro geschätzt.
Die späteren Gesamtkosten für den Kauf der Systeme könnten sich auf 500 Milliarden belaufen. Hinzu kommen Forschungen für nationale Beiträge zu dem System, wie sie das deutsche Verteidigungsministerium etwa im Projekt „Innovations for FCAS“ finanziert. Ähnliche, lange Zeit geheime Forschungen betreibt Airbus seit vielen Jahren unter der Bezeichnung „Low-Observable UAV Testbed“.
Über die Freigabe der „Demonstratorphase 1B“ muss das Parlament entscheiden. Laut dem Verteidigungsministerium ist es weiterhin das Ziel, dem Bundestag „noch im ersten Halbjahr 2021“ eine Vorlage vorzulegen. Ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann, ist aber fraglich. Denn wenn das verspätete Angebot der vielen beteiligten Firmen endlich vorliegt, muss es zunächst vom Verteidigungsministerium geprüft werden.
Beim Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat am 5. Februar haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihre Verteidigungsministerinnen deshalb beauftragt, „in den nächsten Wochen sehr schnell die Voraussetzungen dafür zu schaffen“. Dann könnte die Vernetzung und Automatisierung bemannter und unbemannter Waffensysteme in einem militärischen Hochtechnologieprojekt wie geplant noch vor der Bundestagswahl auf die Schiene gesetzt werden.
Titelbild: © Airbus
Der Artikel „Industrie zankt um größtes europäisches Rüstungsprojekt“ von Matthias Monroy ist ursprünglich auf der Portal „Netzpolitik.org“ erschienen und wird unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0 veröffentlicht.
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