Von Alexander Männer
Präsident Joe Biden hat mit seinem fragwürdigen Interview im US-Fernsehen am Mittwoch für einen politischen Affront gegen Russland gesorgt und die Spannungen zwischen den beiden Ländern damit weiter verschärft. Entgegen allen diplomatischen Regeln nannte er Russlands Staatschef Wladimir Putin unter anderem einen "Killer". Putin reagierte unbeeindruckt darauf und wünschte seinem amerikanischen Amtskollegen "gute Gesundheit". Wenig später jedoch hat Putin Biden überraschenderweise eine Live-Debatte vorgeschlagen, die man "nicht auf die lange Bank schieben sollte". In Anbetracht dessen, dass Biden in der Öffentlichkeit einen komplett unfähigen Eindruck als Staatsoberhaupt macht und seit dem Beginn seiner Amtszeit nahezu jeden unnötigen Auftritt vermeidet, ist dem Kremlschef mit seinem Vorschlag ein diplomatischer Coup gelungen, dem die US-Führung womöglich nichts entgegenzusetzen hat. Washington jedenfalls deutete bereits einen Rückzieher an.
Bidens Verballangriff gegen Putin
Vieles deutete bereits seit Wochen darauf hin, nun kann man definitiv konstatieren, dass die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland schon in den ersten 100 Tage der Amtszeit von Joe Biden einen nie dagewesen Tiefpunkt erreicht haben. Mit seiner unangemessen Verbalattacke gegen den russischen Präsidenten Putin hat der US-Staatschef selbst einen großen Anteil daran. In einem Interview am Mittwoch mit dem US-Fernsehsender ABC antwortete Biden auf die Frage, ob er denke, dass Putin "ein Killer sei", mit "Mmm hmm, I do".
Biden hat in dem Interview behauptet, vor mehreren Jahren in einem Einzelgespräch mit Putin festgestellt zu haben, dass dieser "keine Seele" habe. Zudem warf er dem Kreml erneut den Versuch vor, Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr zu nehmen. Putin werde dafür "einen Preis bezahlen", so Biden.
Unverständnis hinterließ aber vor allem die "Killer"-Aussage, die diplomatisch absolut untragbar ist auf dieser Führungsebene. Auf Nachfrage von Journalisten diesbezüglich machte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jennifer Psaki, deutlich, dass der US-Staatschef nicht bedauere, Putin als "Killer" bezeichnet zu haben. Biden habe "eine direkte Antwort auf eine direkte Frage gegeben", sagte Psaki.
Experten stellen sich nun die Frage, welchen Zweck Biden Affront gegen Putin dient? Warum hat der US-Präsident den Beziehungen mit Moskau vorsätzlich und ohne Not einen enormen Schaden zugefügt? Denn wenn Biden seine russischen Amtskollegen als "Killer" bezeichnet, dann schließt das jede persönlich Begegnung und damit jedes Gipfeltreffen aus.
Dies wäre erst wieder denkbar, wenn Biden sich wenigstens für die Schmähung entschuldigt. Damit wird nicht zu rechnen sein. Biden müsste einräumen, sich nicht nur im Ton, sondern auch im Urteil vergriffen zu haben, wenn er den Präsidenten Russlands zum Kriminellen erklärt.
Moskaus Reaktion
Auf den Ausfall des US-Staatschefs hat Russland noch am selben Tag reagiert und seinen Botschafter, zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren, in die russische Hauptstadt zurückbeordert. Botschafter Anatoli Antonow sei am Mittwoch zu Konsultationen nach Moskau geladen worden, um die zukünftige Beziehungen Russlands zu den Vereinigten Staaten zu analysieren, teilte die Botschaft mit.
Mit der Antwort Putins hat die Geschichte jedoch eine interessante Wendung genommen. Auf das Interview Bidens hat der Kremlchef am Donnerstag erwartungsgemäß mit Besonnenheit reagiert: Zuerst wünschte Putin dem 78-jährigen Amerikaner "gute Gesundheit, ohne jede Ironie" und bekräftigte dann, dass Moskau sich nicht von Washington einschüchtern lassen werde. "Wir werden unsere Interessen verteidigen und mit ihnen zu Bedingungen zusammenarbeiten, die für uns vorteilhaft sind", versicherte Putin. Darüber hinaus sagte er, man solle nicht von sich auf andere schließen.
Wenig später folgte allerdings eine Überraschung: Putin schlug Biden eine Debatte vor, bei der die beiden Staatschefs ihre "Diskussion fortsetzen" könnten. "Aber unter der Bedingung, dass wir dies faktisch live tun, oder wie man es auch nennt online", sagte Putin im russischen Fernsehen. Als Termin zog er unter anderem den kommenden Montag in Betracht.
Biden von Putin kalt erwischt?
Mit seinem Vorstoß hat der Kreml das Weiße Haus womöglich in eine sehr heikle Lage gebracht. Biden hatte mit seinen Aussagen den Russen die Möglichkeit eröffnet, die Situation für sich medial auszunutzen und die US-Führung bei einer Live-Debatte vor der ganzen Welt vorzuführen. Oder Washington zumindest dazu zu bringen, einen Rückzieher zu machen.
Denn mittlerweile ist es offensichtlich, dass Biden mit seinen öffentlichen Auftritten als US-Präsident nicht zurechtkommt. Zum Beispiel hat er sich in der Öffentlichkeit bislang rar gemacht und seine Pressesprecherin auf Nachfrage verlauten lassen, dass ihm seine Arbeit wichtiger sei als die große Bühne.
Noch seltsamer ist aber, dass Biden in der kurzen Zeit seiner Präsidentschaft bereits mehrere konfuse Auftritte hingelegt und teils unzusammenhängende oder diffuse Statements abgegeben hatte. Zuletzt hat er bei einer eine Rede vor Armeeangehörigen allem Anschein nach die Bezeichnung der US-Verteidigungsbehörde sowie den Namen und das Amt des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin vergessen.
Nicht schwer auszudenken, wie sich Biden bei einer Diskussion mit Putin anstellen würde. Daher war die Herausforderung zur Live-Debatte ein geschickter Schachzug, der dem US-Präsidenten bestenfalls nur das kleinere Übel, also eine Absage an Putin, als Option übrig lässt.
Insofern hat das Weiße Haus signalisiert, das es eine baldige Live-Debatte zwischen den beiden Staatschefs nicht in Betracht zieht. Pressesprecherin Psaki hat auf Anfrage einer Journalistin erklärt, dass die besagte Diskussion unwahrscheinlich sei, und verwies darauf, dass Biden am Freitag in den US-Bundesstaat Georgia reisen und "ziemlich beschäftigt sein werde". "Ich würde sagen, dass der Präsident bereits ein Gespräch mit Präsident Putin geführt hat", fügte Psaki hinzu und bemerkte, dass es noch andere Staats- und Regierungschefs in der Welt gebe, mit denen Biden noch nicht gesprochen habe.
"It takes one to know one": Presse verbreitet falsche Übersetzung
Wie erwartet haben die internationalen Medien den Worten Putins viel Beachtung geschenkt, allerdings gaben diverse Presseagenturen eine falsche Übersetzung des Sprichworts wieder, das der Präsident anführte. So haben etwa Bloomberg, Reuters, AFP, sowie die Financial Times das sinngemäße Zitat "man solle nicht von sich auf andere schließen" als "it takes one to know one" übersetzt, was im Deutschen aber soviel heißt wie: "Gleich und Gleich erkennt sich gut".
Dies hat die Aussage des russischen Staatschefs im Grunde völlig verzerrt. Die falsche Übersetzung erweckt nämlich den Eindruck, dass Putin mit den Worten Bidens einverstanden war.
Und obwohl das offensichtlich nicht stimmt, wurde trotzdem "it takes one to know one" in den etlichen US-Medien weiterverbreitet. Auch das Entertainment bildete dabei offenbar keine Ausnahme: Zum Beispiel griff Steven Colbert diese Passage am Freitag in seiner Sendung "The Late Show with Stephen Colbert" auf und schlussfolgerte, dass Putin die ihm entgegengebrachten Vorwürfe quasi zugegeben hätte. Der beliebte US-Comedian Jimmy Fallon brachte in seiner Show ebenfalls das falschübersetzte Zitat Putins.
Es stellt sich die Frage, wie viele Medien- und Entertainmentvertreter in den USA die richtige Übersetzung des russischen Sprichworts angeführt haben? Im Mainstream jedenfalls scheint es so, als würde der "Fake" haengen bleiben.
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Titelbild: imago images/Steinach
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