Von Franziska F. N. Schreiber
Zwanzig Jahre lang wurde das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur verhandelt, im Juni 2019 wurde eine Einigung über den Handelsteil erzielt, doch die Ratifizierung lässt auf sich warten und steht aktuell unter keinem guten Stern. Trotz breiter Kritik sind zwar noch letzte Hoffnungsschimmer ersichtlich, insgesamt weisen die aktuellen Entwicklungen jedoch in Richtung des Scheiterns.
Der Mercosur (abgekürzt für Mercado Común del Sur, zu Deutsch: Gemeinsamer Markt des Südens) ist ein regionales Wirtschaftsbündnis der südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, welches 1991 gegründet wurde. Im Jahr 1999 begannen Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und den Regierungen der Mercosur-Mitgliedstaaten zu einem Assoziierungsabkommen, welches die Säulen „Zusammenarbeit“, „politischen Dialog“ und „Handel“ umfasst. Aufgrund zwischenzeitlicher Unterbrechungen und Wiederaufnahmen der Verhandlungen dauerten diese zwanzig Jahre an. Am 28. Juni 2019 schließlich erzielten die EU und der Mercosur eine Einigung über den Handelsteil, das heißt ein Freihandelsabkommen als Teil des Assoziierungsabkommens.
Dieses beispiellose Freihandelsabkommen würde die größte Freihandelszone der Welt schaffen und einen Wirtschaftsraum mit insgesamt 780 Millionen Menschen umfassen. Durch das Abkommen würden ca. 90 Prozent der Zölle zwischen der EU und dem Mercosur abgeschafft werden. Für den Mercosur repräsentiert die EU einen der größten HandelspartnerInnen und InvestorInnen, und auch die EU würde damit jährlich ca. 4 Mrd. Euro Zölle einsparen. Die Bedeutung des EU-Mercosur-Abkommens ist jedoch nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch geopolitisch-strategischer Natur: Die Inkraftsetzung des Abkommens würde ein Zeichen in Anbetracht der Konfrontation der Großmächte China und den USA sowie für eine regel- und wertebasierte liberale Weltordnung setzen. Weil das EU-Mercosur-Abkommen Zuständigkeitsbereiche der EU-Mitgliedstaaten tangiert, bedarf es zu dessen Umsetzung der Ratifizierung durch das Europäische Parlament, den EU-Rat und die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten. Die Ratifizierung des Abkommens scheint aktuell jedoch in weite Ferne zu rücken, weil es Unstimmigkeiten vor allem in den Bereichen des Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutzes gibt.
Breite Kritik am Abkommen
KritikerInnen des Abkommens bemängeln insbesondere, dass dieses im Bereich des Klima- und Umweltschutzes zwar unverbindliche Absichtserklärungen, jedoch weniger strenge Sanktionen vorsehe, wie es bei Verstößen gegen die Handelsregelungen der Fall sei. Im Zentrum der Kritik steht die Umweltpolitik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro mit dessen weitreichenden Rodungen im Gebiet des Amazonas-Regenwaldes. KritikerInnen zufolge würden diese durch das Inkrafttreten des Abkommens weiter vorangetrieben werden. Daten des brasilianischen Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE) vom November 2020 zeigen, dass die Rodungen zwischen 2019 und 2020 um 9,5 Prozent angestiegen sind, womit sie den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht haben (siehe Grafik 1). Von brasilianischer Seite wird dagegen gehalten, dass die klima- und umweltbezogenen Bedenken am Abkommen der Deckung protektionistischer Strategien der EU dienen.
Grafik 1, Quelle: http://www.obt.inpe.br/OBT/assuntos/programas/amazonia/prodes (eigene Darstellung).
Frankreich unter Emmanuel Macron ist einer der stärksten Kritiker des Abkommens. Bereits Mitte 2019 hat der damalige französische Premierminister Édouard Philippe eine Kommission unabhängiger ExpertInnen einberufen, um das Abkommen zu evaluieren. Der im September 2020 veröffentlichte Bericht fällt ein insgesamt ablehnendes Urteil, da das Abkommen unzureichende Bestimmungen zur Umsetzung und Einhaltung der Verpflichtungen beim Klimaschutz vorsehe. Aktuell weigert sich auch die österreichische Regierung, das Abkommen zu akzeptieren – selbst wenn auf die Kritik durch den Abschluss von Zusatzvereinbarungen reagiert würde –, aus innenpolitischen Gründen, da die Ablehnung des Abkommens Teil des Koalitionsvertrags der Regierung sei. Ablehnung erfährt das Abkommen außerdem aus Irland, den Niederlanden sowie Belgien. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte im August 2020 Zweifel an der Umsetzbarkeit des Abkommens und Besorgnis aufgrund der Brandrodungen im Amazonasgebiet.
Die Meinungsdifferenzen einzelner Mitgliedstaaten spalten die EU intern: Im Oktober 2020 hat das Europäische Parlament mit einer Abstimmung von 345 zu 295 Stimmen indiziert, dass es in seiner aktuellen Form nicht durchsetzungsfähig ist. Im November 2020 legten die Regierungen mehrerer EU-Mitgliedstaaten Valdis Dombrovskis, dem seit September 2020 amtierenden Vizepräsident der Europäischen Kommission, Positionspapiere vor: Neun Regierungen (unter anderem Italien, Portugal und Spanien) plädierten für das Abkommen und fünf Regierungen (Österreich, Bulgarien, Luxemburg, Rumänien und die Slowakei) dagegen.
Hinzu kommen die kritischen Positionen europäischer AgrarlobbyistInnen und KlimaschützerInnen. Der Deutsche Bauernverband veröffentlichte im November 2020 eine Erklärung, in der das Abkommen als „fehlgeleitete Handelspolitik“ abgelehnt wird. Befürchtet wird, dass durch die unterschiedlichen Standards, beispielsweise im Bereich von Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz, eine asymmetrische Konkurrenzsituation für AgrarproduzentInnen in der EU entstehen könnte, da die Güter der Mercosur-Staaten günstiger produziert werden könnten. Der Verband fordert die Neuverhandlung des Abkommens. Auch Greenpeace führt einige Kritikpunkte am Abkommen an, darunter die Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft der Mercosur-Länder, die in der EU unzulässig sind, hohe zollbegünstigte Importquoten für Produkte wie Rindfleisch, die Gefährdung der Lebensräume Indigener in Südamerika und unzureichende Regelungen zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen.
Ende März 2021 haben sich auch der Europäische Gewerkschaftsbund und sein südamerikanisches Pendant (span. Coordinadora de Centrales Sindicales del Cono Sur) mittels eines sog. Arbeitsforums gegen das Abkommen ausgesprochen. Sie bemängeln unter anderem die fehlenden Garantien, die das Abkommen im Hinblick auf Umweltschutz sowie Menschen- und Arbeitsrechte biete.
Mögliche Konsequenzen des Scheiterns
Dennoch könnte es sinnvoll sein, die Flinte nicht vorschnell ins Korn zu werfen, denn es gilt auch die Implikationen zu bedenken, die das Scheitern des Abkommens mit sich brächte. Da die Umsetzung des Abkommens der EU ein Mitspracherecht in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Menschenrechte und indigene Minderheiten in der Mercosur-Region bieten würde, sollte sich die EU ihre Verhandlungs- und Gestaltungsmacht strategisch zunutze machen. Sollte das Abkommen nicht ratifiziert werden, würde das der EU nicht nur Einflussmöglichkeiten in der Mercosur-Region vorenthalten, sondern auch ihrer handelspolitischen Glaubwürdigkeit schaden...
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Titelbild: © Stephanie Lecocq/EPA
Der Artikel „Am seidenen Faden: Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Mercosur“ von Franziska F. N. Schreiber ist ursprünglich auf dem Portal „PRIF Blog“ erschienen und wird unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-ND 4.0 veröffentlicht.
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