• Startseite
  • Nachrichten
  • BRICS
  • Politik
  • Wirtschaft
  • Sicherheit
  • Über uns
Suche

USA ziehen aus Afghanistan ab: Könnte die Türkei ihren Platz einnehmen?

Von Nikita Gerassimow

Die Frage, wie Afghanistan nach dem vollständigen US-Abzug aussehen wird, beschäftigt Konfliktbeobachter rund um die Welt. Angesichts des rasanten Vorrückens der Taliban ist das naheliegende Szenario, dass die afghanische Zentralregierung in Kabul auf Dauer kaum Überlebenschancen hat. Bestenfalls wird sie sich in der Hauptstadt verbarrikadieren und von dort die legitime Regierung spielen, wenngleich sie im Rest des Landes keinerlei Einfluss haben wird. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie eher früh als spät fallen wird. Die Taliban würden die Macht in ganz Afghanistan (wieder) an sich reißen und somit praktisch den Status quo von 2001 vor der US-Invasion wiederherstellen.

Doch nun deutet sich zunehmend an, dass auch die Türkei damit liebäugelt, in das afghanische Machtvakuum vorzustoßen und dadurch ihre Positionen in der gesamten Region weiter zu festigen.

Während die NATO Afghanistan fast schon fluchtartig verlässt, belässt Ankara sein Truppenkontingent in dem Land. Es heißt, die Türkei habe von Washington grünes Licht dafür bekommen, den Internationalen Flughafen von Kabul auch nach dem offiziellen NATO-Abzug zu sichern.

Welche Trümpfe Ankara in der Hand hat

Türkische Truppen sollen also bleiben, um den Internationalen Flughafen von Kabul zu sichern. In dem Gebirgsland ist der Flughafen von Kabul praktisch die einzige Möglichkeit für eine reguläre Flugverbindung zu der „weiten Welt“. Nun könnte Ankara versuchen, dieses Ass auszuspielen, um seine Positionen in dem Land auszuweiten. Dies dürfte durchaus im Sinne der USA sein, die eine Stärkung Russlands und Chinas in der Region vermeiden wollen. Ein türkisches Erstarken in Afghanistan könnte das Vakuum also zumindest teilweise füllen und ein Anwachsen des chinesischen Einfluss verhindern. Die Interessen der Türkei und der USA würden in dieser Frage also zusammenfallen bzw. kompatibel sein, was in den letzten Jahren längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Ein weiterer Vorteil für Ankara ergibt sich aus den guten Beziehungen zu Pakistan. In den letzten Jahren haben sich Ankara und Islamabad in vielen Fragen deutlich angenähert. Insbesondere der Waffenhandel zwischen den beiden Staaten floriert. Zuletzt sicherte sich Islamabad die neuen türkischen Angriffsdrohnen Bayraktar-Tb2 zu. Mit Islamabad als Verbündeten hätte die Türkei gute Chancen, die Südgrenze des Landes – seit jeher das schwierigste Terrain und ein Rückzugsgebiet der Taliban – zu sichern.

Nicht zuletzt leben auf dem Territorium Afghanistans auch einige Türk-Völker, zu denen Ankara sicherlich schnell einen kurzen Draht finden wird. Generell reiht sich die mögliche türkische Präsenz in Afghanistan durchaus in die neu-osmanischen Ambitionen der Erdogan-Regierung. Ankara strebt an, im ehemaligen Einflussgebiet des Osmanischen Reiches das alte Gewicht wiederzuerlangen – Zentralasien gehört auf jeden Fall dazu. Eine dauerhafte türkische Präsenz in Afghanistan wäre ein Schritt, auch in Zentralasien Fuß zu fassen und sich dauerhaft in der Region niederzulassen.

Was gegen einen türkischen Verbleib in Afghanistan spricht

Einfach wird das trotzdem nicht. Zum einen ist es absolut unklar, wie die Taliban auf einen türkischen Verbleib reagieren würden. Es heißt, Verhandlungen zwischen türkischen und Taliban-Vertretern seien bereits gestartet worden. Wie erfolgreich diese waren, ist aber bislang absolut unklar und wird je nach Quelle unterschiedlich dargestellt. In manchen Quellen heißt es, dass die Taliban und die Türken durchaus auf einen Kompromiss zudriften. Demnach würden die Taliban ihr Einverständnis dafür geben, dass türkische Soldaten weiterhin den Internationalen Flughafen von Kabul sichern. Dies wäre in der Tat der erste „Fuß in der Tür“, mit dem Ankara einerseits in Afghanistan offiziell verbleiben und andererseits sich auch mit den Taliban gut stellen könnte.

Laut anderen Quellen ist solch ein Kompromiss aber in weiter Ferne. Die Taliban hätten den Abzug ausnahmslos aller ausländischen Truppen, auch der türkischen, im Laufe der nächsten Monate gefordert. Es ist unwahrscheinlich, dass Ankara sich großangelegte Kämpfe gegen die Taliban leisten kann. In diesem Fall werden auch türkische Truppen früher oder später abziehen und den Flughafen von Kabul freimachen müssen.

Und zuletzt ist es sicherlich auch eine Frage der türkischen Wirtschaftskraft. Diese ist in den letzten Jahren stark gebeutelt worden – Corona, rasant steigende Inflation, Währungsturbulenzen und teure Auslandseinsätze in Libyen, Syrien und dem Irak sind eine signifikante Belastung. Ob die türkische Wirtschaft auch noch eine potentielle dauerhafte Stationierung in Afghanistan tragen kann, darf durchaus angezweifelt werden.

Dieser Beitrag muss nicht unbedingt die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

Titelbild: © Anas Alkharboutli/dpa

Der Artikel „USA ziehen aus Afghanistan ab: Könnte die Türkei ihren Platz einnehmen?“ von Nikita Gerassimow ist ursprünglich auf dem Portal „Publikum“ erschienen und wird mit dem Einverständnis des Autors veröffentlicht.

Rückblick:
1083
Aktuell

Inflationsrate in der Eurozone fällt nur minimal – Eurostat

2. März 2023
Inflationsrate in der Eurozone fällt nur minimal – Eurostat
Die Inflation in der Eurozone erweist sich als äußerst hartnäckig. Im Februar sank die Teuerungsrate lediglich um 0,1 Prozentpunkte. Schuld waren diesmal aber nicht die hohen Energiepreise, sondern die Ausgaben für Nahrungsmittel.

Finnlands Parlament stimmt für den Beitritt zur NATO

1. März 2023
Finnlands Parlament stimmt für den Beitritt zur NATO
Mit großer Mehrheit spricht sich das Parlament in Finnland für einen Beitritt des Landes zur NATO aus. Nun müssen zwei weitere Mitglieder des Bündnisses, Ungarn und die Türkei, dieser Entscheidung zustimmen.

59 Tote im Mittelmeer: Italiens Behörden wollen stärker gegen Schlepper vorgehen

28. Februar 2023
59 Tote im Mittelmeer: Italiens Behörden wollen stärker gegen Schlepper vorgehen
Fast 60 Menschen sind bei einem Schiffsbruch an der italienischen Küste gestorben. Regierungschefin Meloni macht allein die Schlepper für das Unglück verantwortlich. Kritiker jedoch verweisen auf ein neues Gesetz, das von dem italienischen Parlament erlassen wurde.
Neuste Artikel
Inflation ohne Ende

Inflation ohne Ende

5. Juni 2023
Der Versuch, Frieden zu schaffen - ein BRICS-Mitglied nach dem anderen

Der Versuch, Frieden zu schaffen - ein BRICS-Mitglied nach dem anderen

2. Juni 2023
BRICS-Erweiterung und der Globale Süden

BRICS-Erweiterung und der Globale Süden

30. Mai 2023
England liefert der Ukraine Munition mit abgereichertem Uran

England liefert der Ukraine Munition mit abgereichertem Uran

27. Mai 2023
Nach jahrelangem Verfahren: EU-Behörden stoppen Metas Datentransfers

Nach jahrelangem Verfahren: EU-Behörden stoppen Metas Datentransfers

24. Mai 2023

 

Eurobrics

 

Follow @brics_euro

© 2020 EuroBRICS World Economy S.L. Alle Rechte vorbehalten.