Von Riccardo Petrella
Eine perverse „Revolution“ hat begonnen. Am 7. Dezember des vergangenen Jahres kündigte die private Gesellschaft, die die Börse von Chicago verwaltet, an, dass ab sofort in Kalifornien erstmals mit „Futures“ – einem spekulativen Finanzprodukt – gehandelt werden könne.
Die Begründung: Da Wasser für den menschlichen Gebrauch als lebenswichtiges Element der Natur immer knapper wird, wolle die Finanzwirtschaft die Wasserknappheit „steuern“, um großen Wasserverbrauchern (Landwirtschaft, Weinbauern, Süß- und Kohlensäuregetränke usw.) die Verfügbarkeit von Wasser durch die Auswahl eines Verwendungszwecks zu garantieren, wobei der Preis des Wassers durch Spekulationen bestimmt wird, wie auch bei Öl, Gold oder Weizen.
Mitte Oktober 2021, vor der COP15 über Biodiversität und Naturschutz und wenige Tage vor Beginn der COP26 über Klima und Umwelt (3. November) haben die Manager der Wall Street Börse in New York eine neue Kategorie von Finanzanlagen eingeführt, die alle Elemente der Natur umfasst. Gleiches Ziel, gleiche Forderung: Angesichts der fortschreitenden Umweltschäden, des drastischen Rückgangs der Artenvielfalt, der Gefahr einer weiteren massiven Verknappung der natürlichen „Ressourcen“ für die Wirtschaft und das „Wirtschaftswachstum“ sieht sich die globale private Finanzwirtschaft in der Rolle des „Retters“, indem sie Verantwortung für die effektive und nachhaltige Regulierung der natürlichen Welt durch ihre Aneignung bzw. Monetarisierung übernehme.
Wie im Fall der Wasserbörse steht hinter der Entscheidung, die totale Monetarisierung der Natur zu fördern bzw. durchzusetzen, der mächtigste private Investmentfonds der Welt, Black Rock unter der Führung von Larry Fink. Heute verwaltet Black Rock 9,5 Billionen Dollar und hat sich zur drittgrößten Finanzmacht der Welt nach den USA und China entwickelt. Zusammen könnten Black Rock, Vanguard (wo Black Rock der Hauptaktionär ist) und State Street, die drei mächtigsten Investmentfonds der Welt, allein die Haupteigentümer der Welt werden oder ihre derzeitige Position als „Herrscher“ über die Erde stärken.
Monetarisierung der Natur im Einzelnen
Black Rock hat vorgeschlagen, 30 Prozent der natürlichen Welt bis 2030 in sogenannte „Naturschutzgebiete“ umzuwandeln, die vom Finanzkapital gekauft und verwaltet werden. Dies ist eine gigantische legalisierte Kampagne mit dem Ziel, sich das Land der Erde anzueignen. Innerhalb weniger Jahrzehnte könnten die Finanzhaie damit die gesamte natürliche Welt in Finanzkapital umwandeln. Die Unternehmen, die diese „Naturschutzgebiete“ verwalten sollen, werden NAC (Natural Asset Companies) genannt.
Ihr Ziel ist es, unbegrenzte Gewinne aus der Monetarisierung natürlicher Prozesse zu ziehen. Die ersten und am schwersten betroffenen Opfer wären indigene Völker, deren Land als unveräußerliches Erbe angesehen wird. Die individuellen und kollektiven Rechte auf Leben würden überall mit Füssen getreten.
Die Monetarisierung der Natur ist ein Skandal, weil sie Big Money (den Großbanken und vor allem den bereits erwähnten Investmentfonds) die Möglichkeit gibt:
Black Rock hat geschätzt, dass die natürliche Welt vier Quadrillionen Dollar wert ist. Das jährliche Weltprodukt wird auf etwa 125 Trillionen Dollar geschätzt. Italiens Nationalprodukt im Jahr 2020 betrug 2.400 Milliarden (im Vergleich zum monetären Wert der natürlichen Welt von 4 Milliarden Billiarden).
Mittäterschaft der Behörden
Die Behörden sind mitschuldig. Die große Mehrheit der demokratisch gewählten Parlamente und der oligarchischen Regierungen der herrschenden gesellschaftlichen Gruppen glaubt an die Herren der Finanzen. Sie haben nicht reagiert, weder im spezifischen, aber entscheidenden Fall des Wassers noch im Fall der spekulativen Banalisierung der Natur. Sie haben sogar ihre Zustimmung gegeben.
Die Akzeptanz der Monetarisierung der Natur – die von den Staaten auf dem dritten Weltgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2012 gebilligt wurde – war bislang einer der Hauptgründe dafür, dass die COP Klima- und Umweltpolitik (einschließlich der aktuellen COP26) keine Lösung im Interesse aller Erdbewohner (aller lebenden Arten) finden konnte. Das ist eine politisch und ethisch inakzeptable Haltung der gewählten Volksvertreter.
Die andere Agenda
Seit 1987 (dem Zeitpunkt des Kompromisses über den Brundtlandt-Bericht der UN-Kommission) wussten wir, dass der Diskurs der Herrschenden über die „langfristig nachhaltige Entwicklung“ ein schamloser Schwindel war. Jetzt haben wir die unbestreitbare Bestätigung dafür.
Die Herausforderung der räuberischen Finanziers an die globale Lebensgemeinschaft der Erde ist immens. Die Herrschenden machen keine Witze und dreschen keine Phrasen. Sie handeln, sie kolonisieren, sie unterwerfen, sie zerstören. Big Money ist kriminell. Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen, dass Petitionen nicht ausreichen. Die Völker müssen kämpfen, um den Verlauf der Geschichte umzulenken, zugunsten einer „anderen Agenda“ im Namen der Menschheit und des Lebens auf der Erde.
Die Arbeiter haben den Generalstreik erfunden und hatten damit Erfolg. Es ist an der Zeit, dass auch die Völker der Erde die richtigen Werkzeuge finden.
Der Beitrag muss nicht unbedingt die Meinung der Redaktion widerspiegeln.
Titelbild: Pixabay
Zu dem Autor:Riccardo Petrella ist Politologe, Soziologe und Menschenrechtsaktivist. Er ist Doktor der Politikwissenschaften der Universität Florenz und Ehrendoktor der Universitäten Umea (Schweden), Roskilde (Dänemark), KUB (Belgien), Polytechnische Fakultät von Mons (Belgien), Montréal, Quebec (Kanada), Institut Polytechnique de Grenoble (Frankreich), Università Nazionale di Rosario (Argentinien) und der Universität Corsica (Frankreich). Seine aktuelle Position ist emeritierter Professor der Université catholique de Louvain (Belgien), Präsident des Europäischen Instituts für Recherchen zur Wasserpolitik (IERPE) in Brüssel und Präsident der „Università del Bene Comune“ (UBC), einer gemeinnützigen Vereinigung mit Sitz in Anversa (Belgien) und Sezano, Verona (Italien). Petrella ist Autor zahlreicher Bücher und Publikationen (eines seiner bedeutendsten Werke ist „Wasser für alle: ein globales Manifest“, 2001) und engagiert sich unter anderem im Rahmen der Kampagne „Banning Poverty 2018“
Quellen und Anmerkungen:
Ellen Brown, «Wall Street’s Latest Scheme Is Monetizing Nature Itself», 4. November 2021 https://unlimitedhangout.com/2021/10/investigative-reports/wall-streets-takeover-of-nature-advances-with-launch-of-new-asset-class/
Whitney Webb, «Wall Street’s Takeover of Nature Advances with Launch of New Asset Class», 13. Oktober 2021, https://scheerpost.com/2021/11/04/wall-streets-latest-scheme-is-monetizing-nature-itself/
https://www.lindipendente.online/2021/08/22/big-three-i-fondi-dinvestimento-che-comandano-il-mondo/
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