Von Polina Khubbeeva
Sam Bankman-Fried gründete die weltweit zweitgrößte Kryptowährungsbörse FTX. Mittlerweile steht er in den Vereinigten Staaten unter Anklage. Die US-Behörden werfen dem 30-Jährigen „Betrug epischen Ausmaßes“ und Geldwäsche vor. Im Oktober beginnt der Gerichtsprozess gegen den Unternehmer, der vermutlich auch die Abgründe des Handels mit Kryptowährungen ausleuchten wird.
Als Bankman-Fried am 12. Dezember 2022 festgenommen wird, bestätigt sich für viele Beobachter:innen der Szene ein bereits seit langem anhaltender Trend: der Niedergang der Kryptowährungen. Tatsächlich hält der sogenannte Krypto-Winter die Branche bereits seit etlichen Monaten fest im Griff. Wie aber gerieten Bitcoin, Ethereum und Co. an diesen Tiefpunkt? Und wie wirkt sich deren Talfahrt auf die noch vor kurzem viel gepriesene Blockchain-Technologie aus, auf der auch Kryptowährungen basieren?
Kryptowährungen: hochspekulativ und verlustreich
Gut ein Jahr vor der Festnahme Bankman-Frieds scheint die Welt der Kryptowährungen für viele noch in Ordnung. Im Oktober 2021 erklimmt der Bitcoin-Kurs mit über 66.000 US-Dollar sein Allzeithoch. Doch schon damals mahnen Börsenexpert:innen vor einer Überbewertung. Tatsächlich fällt der Kurs innerhalb des darauffolgenden Jahres um rund 65 Prozent.
„Vergangenes Jahr sind zahlreiche Geschäftsmodelle aus der Krypto-Branche regelrecht implodiert“, sagt Philipp Sandner gegenüber netzpolitik.org. Er ist Chef der Frankfurt School Blockchain Centers an der Frankfurt School of Finance and Management und zählt zu den Verfechter:innen von Kryptowährungen im deutschsprachigen Raum. „Aufgrund der vielen Pleiten mussten viele Bitcoin-Bestände verkauft werden.“ Im vergangenen Sommer dümpelte der Kurs nur noch auf der Marke von 20.000 Dollar.
Angesichts des Ukraine-Krieges erklären viele den Abwärtstrend zunächst mit einem Sicherheitsbedürfnis der Anleger:innen, die in Krisenzeiten konventionelle Anlageformen wie Gold bevorzugen. Dass diese Erklärung allein nicht ausreicht, zeigt sich spätestens am 11. November, als die weltweit zweitgrößte Kryptowährungsbörse FTX Insolvenz beantragt.
Bis dahin wurde deren CEO, Sam Bankman-Fried, weit über die Krypto-Szene hinaus dafür gefeiert, dass er die digitalen Währungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Nun drohen ihm bei einer Verurteilung bis zu 115 Jahre Gefängnis. Bankman-Fried beteuert in allen Anklagepunkten seine Unschuld. Dessen ungeachtet erschüttert die FTX-Pleite die Krypto-Welt schwer und lässt den Kurs vieler Digitalwährungen noch tiefer einbrechen.
Kryptowährungen haben keinen intrinsischen Wert
Dass es überhaupt zu derart starken Kursschwankungen kommen kann, hat auch systemische Gründe. „Um das zu verstehen, zieht man am besten den Vergleich zum Euro“, sagt Michaela Hönig von der Frankfurt University of Applied Sciences. Als Professorin beschäftigt sie sich dort schwerpunktmäßig mit Finanzen und Asset Management. „Der überwiegende Teil unseres Geldes ist eine Forderung an die Zentralbank oder an eine Geschäftsbank. Jeder Euro Bargeld und jeder Euro Guthaben auf einem Zentralbankkonto sind eine Verbindlichkeit für das Eurosystem. Hinter dem Euro steht ebendieses Eurosystem mit seinen Zentralbanken, darunter der Bundesbank, und damit ein Emittent mit gesetzlichem Mandat.“
Dieses Mandat fehlt den meisten Kryptowährungen – und macht sie so volatil. „Virtuelle Währungen werden wie ein Gut übertragen, haben aber keinen intrinsischen Wert, sondern nur einen Tauschwert. Sie haben keinen Emittenten, der sie zurücknehmen muss, und es gibt kein Pfand als Sicherheit. Sie sind somit frei erfunden. Kryptos vermehren sich nach einem festgesetzten Schema in virtuellen Systemen, die formal durch Mehrheitsentscheidung der Nutzer:innen geändert werden können. In der Praxis geschieht dies aber nach dem Belieben einer kleinen Gruppe an Nutzer:innen“, konstatiert Hönig. „Was fehlt, ist Qualität, Sicherheit, Vertrauen, Transparenz.“
„Machtverhältnisse lassen sich nicht wegcoden“
Dabei hatten sich die Krypto-Erfinder:innen ebendiese Werte meist groß auf ihre Fahnen geschrieben. Allerdings konnten die digitalen Währungen diese nicht einlösen, ganz im Gegenteil.
Vielen Kryptowährungen liegt die Idee zugrunde, die fiskalpolitische Abhängigkeit von Regierungen und Zentralbanken zu beenden. „Krypto war ein Versuch der Entpolitisierung von Prozessen. In der Entmachtung von Institutionen sahen viele das Heilsversprechen von Vereinfachung und Effizienz“, sagt Michael Seemann, Kulturwissenschaftler und Autor. „Außer acht gelassen wurde, dass eine Welt durch Machtverhältnisse strukturiert bleibt, sie lassen sich nicht wegcoden. Krypto schafft kein Vertrauen, sondern will es ersetzen. Aber in Wirklichkeit verschiebt die Technologie nur den Punkt, an dem man dann doch wieder vertrauen muss. Zum Beispiel Akteuren wie FTX.“ Michael Seemann kritisiert daher auch die Euphorie, die Kryptowährungen vielerorts entgegenschlug: „Das Finanzprodukt hat kaum jemand verstanden – es hat sich einfach gut angehört, und das hat gereicht.“
In der Tat sind die Schwächen der Krypto-Idee von Anfang an in vielerlei Hinsicht gravierend. Die proklamierte Anonymität ist tatsächlich eine Pseudonymität, denn die Bitcoin-Adressen können zwar keiner einzelnen Nutzerin zugeordnet werden, sie bleiben aber nachverfolgbar. Darüber hinaus verbraucht die Bitcoin-Blockchain Unmengen an Strom, was dem aufwendigen Konsensprinzip Proof-of-Work geschuldet ist. Im Jahr 2020 errechnet das Cambridge Centre for Alternative Finance an der Cambridge University, dass Bitcoin aufs Jahr hochgerechnet mehr Energie verbrauche als die gesamten Niederlande.
Um diesem Problem zu begegnen, steigt beispielsweise das Ethereum-Netzwerk – nach Bitcoin die bekannteste Kryptowährung – im September 2022 vom Proof-of-Work auf den Proof-of-Stake um. Der Wechsel des Konsensmechanismus soll 99,95 Prozent des Energieverbrauches einsparen und und Ethereum als „grüne Blockchain“ stärken. Proof-of-Stake hat jedoch Nachteile. Diese betreffen unter anderem die erhöhte Anfälligkeit des Netzwerkes für potentielle Hacks.
Die bekannten Schwächen von Kryptowährungen werden jedoch ignoriert, solange die Renditen stimmen. In Kombination mit fehlenden Regulierungen vor allem in den USA florieren intransparente und zweifelhafte Geschäftsmodelle. Mit dem Ende der steigenden Kurse brechen vergangenes Jahr weite Teile der eng miteinander verwobenen Branche wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
MiCA und TFR: Wie die EU Kryptowährungen reguliert
Auch in politischer Hinsicht geraten Kryptowährungen zunehmend unter Druck. Denn parallel zum Kursverfall der vergangenen Monate erarbeitet die Europäische Kommission mit der Markets-in-Crypto-Assets-Verordnung (MiCA) und der Transfer of Funds Regulation (TFR) erstmals ein umfassendes Regulierungspaket.
MiCA steckt derzeit noch im EU-Gesetzgebungsverfahren fest. Das Mammutprojekt soll der bisher kaum regulierten Krypto-Industrie Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit setzen und die behördlichen Zuständigkeiten regeln. Die TRF-Regelung zielt hingegen auf die Geldwäscheabwehr und die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung ab, indem sie der Industrie umfassende Datensammlungspflichten auferlegt. „Mit der zunehmenden Regulierung wird es für Anleger:innen in Zukunft transparenter und rechtssicherer. Dies schützt vor Betrügereien – nicht aber vor hoher Volatilität bis hin zum Totalverlust des Kryptowertes“, sagt Michaela Hönig.
Blockchain: Das Ende eines Hypes
Damit kommen wir zur zweiten Frage: Welche Auswirkungen hat der Vertrauensverlust in die Kryptowährungen auf die Zukunft der Blockchain-Technologie?
Mit den Kryptowährungen ist auch die ihnen zugrundeliegende Blockchain-Technologie in der Gunst vieler gefallen. Das wichtigste Indiz hierfür ist die Streichung des Begriffs aus der im August 2022 verabschiedeten Digitalstrategie der Bundesregierung, nachdem der Referentenentwurf ihn noch aufgeführt hatte.
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Titelbild (Symbol): Logos der Kryptowährungen Tether (USDT), Circle's USD Coin (USDC), Bitcoin (BTC) und Ethereum (ETH) © Andre M. Chang/ZUMA Press Wire
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