Von Florian Rötzer
Aufgrund von Informanten aus Regierungskreisen, die neue Geheimdienstmaterialien gesehen haben wollen, soll nun nicht das Weiße Haus, wie Seymour Hersh berichtet hat (US-Regierung ließ die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines ausführen), sondern eine pro-ukrainische Gruppe die Nord-Stream-Pipelines gesprengt haben. Die New York Times berichtet über die durchgestochenen Informationen und macht gleich darauf aufmerksam, dass es keine Hinweise gebe, dass Präsident Selenskij, die Armeeführung oder andere Regierungsangehörige an der Tat beteiligt gewesen seien. Überhaupt scheint es in dem Artikel „Intelligence Suggests Pro-Ukrainian Group Sabotaged Pipelines, U.S. Officials Say“ um das Verwischen von Spuren und Verantwortlichkeiten zu gehen.
Die “Offiziellen” erklärten, dass sie nicht viel über die Täter und ihre Verbindungen wüssten, abgesehen davon, dass sie Gegner von Putin seien. Wer die Anschläge geleitet oder bezahlt habe, sei auch unbekannt. Aus den Geheimdienstinformationen gehe auch nicht hervor, wer es war. Eigentlich wird also gar nichts mitgeteilt, abgesehen davon, mit dem Finger auf irgendeine nebulöse Gruppe zu zeigen, die verantwortlich sein sollen. Gemunkelt wird, die Operation sei möglicherweise nicht offiziell von einer „Proxy-Truppe mit Verbindungen zur ukrainischen Regierung oder ihren Geheimdiensten ausgeführt worden“. Trotz der Dürftigkeit der Information über die „pro-ukrainische Gruppe“ verkündet die New York Times: „Neue nachrichtendienstliche Erkenntnisse sind der erste wichtige Hinweis darauf, wer für den Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines, die Erdgas von Russland nach Europa transportieren, verantwortlich ist.“
Es wurde ja schon von US-Geheimdiensten erklärt, es gebe keinen Hinweis auf eine Beteiligung der russischen Regierung, was in der Tat auch ziemlich absurd wäre. Die CIA hatte aber mal auf „ukrainische Nationalisten“ gezeigt. Die „Offiziellen“ glauben nach den angeblich neuen Informationen, dass wahrscheinlich Ukrainer oder Russen oder eine aus beiden Nationalitäten zusammengesetzte Gruppe die Saboteure gewesen seien, es seien aber keine amerikanische oder britische Bürger involviert gewesen. Um das geht es auch wohl in der Story. Wie der Anschlag von dieser ominösen Gruppe technisch durchgeführt worden sein soll, wird nicht mitgeteilt.
Es ist viel heiße Luft, die aber sicher mit einer bestimmten Absicht der New York Times und damit der Öffentlichkeit zugespielt wurde. Es heißt, es gebe nun Optimismus, dass mehr herausgefunden werden könne, aber es sei unklar, wie lange dieser Prozess dauere. US-Regierungsangehörige hätten vor kurzem die neuen Geheimdienstinformationen mit ihren europäischen Partner besprochen.
Der Verdacht entsteht, dass man in Washington vielleicht eine Möglichkeit sucht, doch die Ukraine belasten zu können, wenn man sich aus dem Krieg zurückziehen will oder wegen der republikanischen Opposition zurückziehen muss. Zumindest könnten diese Sätze so interpretiert werden:
„Offizielle sagten jedoch, dass es sich um die erste wichtige Spur handeln könnte, die aus mehreren streng geheim gehaltenen Untersuchungen hervorgeht, deren Schlussfolgerungen tiefgreifende Auswirkungen auf die Koalition zur Unterstützung der Ukraine haben könnten. Jeder Hinweis auf eine ukrainische Beteiligung, ob direkt oder indirekt, könnte die heikle Beziehung zwischen der Ukraine und Deutschland stören und die Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit, die im Namen der Solidarität hohe Energiepreise in Kauf genommen hat, schwächen.“
Noch eine „pro-ukrainische Gruppe“
Aber möglicherweise hängt die durchgestochene Information auch mit den Spuren zusammen, die deutsche Ermittlungsbehörden nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios, des ARD-Politikmagazins „Kontraste“, des SWR und der „Zeit“ herausgefunden haben sollen. Identifiziert worden sein soll die von einer polnischen Firma gepachtete Jacht, mit der fünf Männer und eine Frau die Operation ausgehend von Rostock durchgeführt haben sollen: ein Kapitän, zwei Taucher, zwei Tauchassistenten und eine Ärztin, die mit gefälschten Pässen unterwegs waren.
Wer die Personen sind, welche Nationalität sie angehören, wie das Anbringen der Sprengladungen unbemerkt durchgeführt wurde – Fehlanzeige. Auf der ungereinigt zurückgebrachten Jacht – die angeblichen Täter scheinen sich dann sehr sicher gewesen sein -, seien auf dem Tisch Sprengstoffspuren gefunden worden. Aber es ist auch die Rede von einer „pro-ukrainischen Gruppe“. Ein westlicher Geheimdienst habe bereits ein „ukrainisches Kommando“ ins Spiel gebracht. Wer die Auftraggeber gewesen waren, sei unbekannt. Und, um die ukrainische Regierung nicht zu sehr zu belasten, wird gesagt, es könne sich ja auch um eine False-Flag-Aktion gehandelt haben.
Wie schon früher wird wieder darauf hingewiesen, dass Washington trotz der immensen Unterstützung nicht immer von den ukrainischen Regierungsangehörigen ausreichend über militärische Aktionen informiert wird, „besonders über diejenigen gegen russische Ziele hinter der Front“, wie Angriffe auf die Krim oder Drohnenangriffe auf russische Luftwaffenstützpunkte. Das kann man allerdings als Schutzbehauptung sehen, um nicht verantwortlich gemacht zu werden, obgleich man Waffen sowie Geheimdienst- und Satellitendaten für Angriffe liefert. Der tödliche Anschlag auf Daria Dugina im letzten August mit einer Autobombe sei nach US-Geheimdiensten von Elementen der ukrainischen Regierung beauftragt worden. Biden habe Kiew daraufhin privat vor weiteren Aktionen gewarnt. 5 Wochen später erfolgten die Anschläge auf die Pipeline.
Es gebe viele Spuren, die man verfolgen müsse. Ein europäischer Abgeordneter habe vom Geheimdienst seines Landes erfahren, es gebe etwa 45 „Geisterschiffe“, die in der Nähe der Anschläge gefahren und deren Transponder ausgeschaltet waren. Es dürfte allerdings sehr unwahrscheinlich sein, dass in der gut überwachten Ostsee unbemerkt von amerikanischen und europäischen Streitkräften und Geheimdiensten eine doch recht komplizierte Aktion an zwei Stellen in erheblicher Tiefe mit großen Mengen an Sprengstoff durchgeführt werden konnte. Und das auch noch von einer Gruppe, die vielleicht keinem Militär angehört oder von einer Regierung entsprechend ausgestattet wurde. Dass keine auch nur winzige Information zur Ausführung des Sabotageakts durch die angeblich neuen Geheimdienstinformationen gegeben wurden, macht das höchst verdächtig. Und die New York Times lässt alle investigativen Bemühungen ruhen und reproduziert die heiße Luft natürlich exklusiv.
Dieser Beitrag muss nicht unbedingt die Meinung der Redaktion widerspiegeln.
Titelbild: Eine Karte zeigt die beschädigten Stellen der Gasleitungen Nord-Stream 1 und 2 © Europa Press/Contacto via ZUMA Press
Dieser Artikel ist ursprünglich auf dem Portal „Overton Magazin“ erschienen und wird mit dem Einverständnis des Autors veröffentlicht.
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