Von Florian Rötzer
Die Solidarität der europäischen Länder zeigt erste Risse auf, gerade bei den Ländern, die wie Polen die Unterstützung am stärksten vertreten und sich auch als Vertreter des Neuen Europas präsentiert haben. Das eine sind Waffenlieferungen in die Ukraine, um dafür moderne Waffen vorwiegend aus den USA zu erhalten und solange keine Soldaten in den Krieg geschickt werden müssen, das andere ist, wenn es an das Geld geht. Die Sanktionen gegen Russland haben auch die osteuropäischen Staaten mit vertreten, aber jetzt scheint es Schluss damit zu sein, wenn aus der Ukraine Güter zu preisen auf die heimischen Märkte kommen, die eigene Produzenten schädigen.
Eigentlich dachten wohl die Nachbarländer, dass sie die Getreidelieferungen über Land aus der Ukraine nur als Transitstaaten betreffen würden. Um dem Land zu helfen, das über See trotz des mit Russland und durch die Vereinten Nationen und die Türkei ausgehandelten Abkommens nicht mehr die gesamte Menge des Getreides exportieren konnte, hatte die EU eine zunächst einjährige Liberalisierung bei der Einfuhr ukrainischer Produkte beschlossen, die bislang noch nicht von Zöllen nach dem Freihandelsabkommen DCFTA ausgenommen waren: „Dies betrifft insbesondere: gewerbliche Waren, für die die Zölle bis Ende 2022 auslaufen, Obst und Gemüse, das der Einfuhrpreisregelung unterliegt, sowie landwirtschaftliche Erzeugnisse und landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse, für die Zollkontingente gelten.“ Eingerichtet wurden „Solidaritätskorridore“, um die Ausfuhrmöglichkeiten zu erhöhen und die Ukraine auch für die Zukunft enger an die EU anzuschließen.
Schon im Januar kam es zu Protesten aus Polen, Rumänien und Ungarn, Bulgarien und die Slowakei schlossen sich an, weil Weizen, Mais oder Sonnenblumenprodukte zu verbilligten Preisen über die Solidaritätskorridore in die Länder und dort auf den Markt kamen. Deswegen hatten die heimischen Landwirte Probleme, die nicht so billig produzieren konnten. Verlangt wurden von der EU zumindest finanzielle Entschädigungen von der EU für die Landwirte. Rumänien sollte 10 Millionen, Polen 29 und Bulgarien 16 Millionen Euro erhalten, weit weniger als 200 Millionen, die verlangt wurden. Rumänien sah sich überdies gegenüber den anderen Ländern ausgebootet. Im März hatten die Nachbarländer Zölle nicht nur für Getreide und Ölsaaten, sondern auch für Eier, Zucker oder Geflügel aus der Ukraine gefordert. Die ukrainischen Produkte drücken nicht nur die Preise in den Nachbarländern, sondern auf Kosten der Landwirte in der ganzen EU.
Beim kürzlichen Treffen von Selenskij mit dem polnischen Präsidenten Duda und dem Regierungschef Morawiecki in Warschau am 5. April wurde das Thema, das der PiS, bereits im Wahlkampf, bei einem wichtigen Teil ihrer Wählerschaft Stimmen kosten dürfte, angesprochen. Es war zu massiven Protesten der Landwirteb gekommen. Man habe eine Lösung gefunden, wurde verkündet, die aber nicht genannt wurde. Angeblich hatten die Landwirtschaftsminister Polens und der Ukraine am 7. April vereinbart, dass die Ukraine den Export von Getreide, Mais, Sonnenblumen oder Raps erst einmal einstellen will. Das war dann offenbar nicht überzeugend.
Am Samstag verhängte Polen, am Sonntag Ungarn, sonst in der Ukraine- und Russlandpolitik alles andere als einig, einen bis auf den 30. Juni terminierten Importstopp für Getreide, Ölsaaten, Fleisch, Milch und andere landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine. Ungarn ist weniger strikt als der brüderliche polnische Freund und will trotz des Importstopps den Transit erst einmal weiter zulassen. Am Freitag hatte bereits die Slowakei den Verkauf von ukrainischem Weizen als Lebensmittel und Tierfutter verboten, weil in der EU nicht zugelassene Pestizide gefunden wurden. Bulgarien erwägt gleichfalls einen Importstopp. Und wenn dann noch Russland das Getreideabkommen nicht fortsetzt, könnte die Ukraine weder auf dem Land- noch auf dem Seeweg landwirtschaftliche Produkte exportieren, das Pleiteland noch einmal mehr schädigen würde.
Die EU-Kommission sieht die gewünschte Solidarität mit der Ukraine durch die Entscheidungen der Nachbarländer gefährdet. Die Handelspolitik falle ausschließlich in die Zuständigkeit der EU, sagte eine Sprecherin der Kommission, unilaterale Entscheidungen seien nicht akzeptabel. Man müsse in solchen herausfordernden Zeiten Entscheidungen in der EU koordinieren. Der Streit kulminierte auch deswegen, weil die EU-Kommission die Zollfreiheit für die landwirtschaftlichen Produkte aus der Ukraine bis zum Juni 2024 verlängert hatte.
Der Konflikt könnte einen Keil zwischen der Ukraine und den osteuropäischen Nachbarländern treiben, die bislang mit den baltischen Staaten die Ukraine stark unterstützt haben, aber auch zwischen dem Neuen und dem Alten Europa, letzteres auch vertreten durch die EU-Kommission, die mit Polen und Ungarn sowieso schon im Streit liegt.
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Titelbild: Ein Weizenfeld/Pixabay
Dieser Artikel ist ursprünglich auf dem Portal „Overton Magazin“ erschienen und wird mit dem Einverständnis des Autors veröffentlicht.
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