Von Florian Rötzer
Noch immer wird an der strategischen Kommunikation gearbeitet, dass am von den Russen besetzten AKW Saporischschja ein Sabotageakt geplant werde. Von russischer Seite wird der Ukraine ein angeblich geplanter Angriff mit Raketen und Drohnen unterstellt, diese wiederum behauptet, dass die Russen den Kühlteich oder das AKW vermint hätten. Später wurde von GUR-Chef Budanow behauptet, „mit Sprengstoff gefüllte Ausrüstung“ sei „in der Nähe von 4 von 6 Kraftwerksblöcken“ platziert worden (Plant die Ukraine oder Russland zum Nato-Gipfel einen Anschlag auf das AKW Saporischschja?). Dann folgte der ukrainische Generalstab, der verkündete, dass auf den Dächern von zwei Reaktoren „sprengstoffähnliche Gegenstände“ angebracht worden seien, mit denen ein ukrainischer Angriff simuliert werden könnte.
Radio Svoboda (Liberty) sprang auf Telegram zur Hilfe und veröffentlichte Satellitenbilder angeblich vom 5. Juli, auf denen zu sehen sein soll, dass auf dem Dach neue Objekte aufgetaucht seien. Aufgrund der geringen Auflösung lässt sich aber alles Mögliche behaupten. Die Nachrichtenagentur AP hingegen will hochaufgelöste Satellitenbilder vom Montag und Mittwoch verglichen haben, auf denen sich keine Veränderungen auf den Dächern der sechs Reaktoren erkennen ließen.
Der ukrainische Präsident Selenskij hat schon einmal versichert, dass für einen möglichen Vorfall am AKW ausschließlich Russland verantwortlich sein müsse. Wenn Russland schon den Kawochka-Staudamm zerstört hat, was die ukrainische Führung behauptet, dann zeige dies, dass sie auch nukleare „Terroranschläge“ durchführen wird. Die Welt – oder vielmehr – die Nato-Staaten müssten auf die Warnung von Kiew entschieden handeln, schließlich habe man auch vor einem Anschlag auf den Staudamm gewarnt (aber ukrainischen Truppen hatten ihn letztes Jahr auch beschossen und eine Zerstörung erwogen, was Washington aber nicht gefiel).
Normalerweise wird die strategische Kommunikation einfach weitergereicht. Das ist im Blick auf das AKW aber schwieriger, weil die Atombehörde IAEA nicht nur Beobachter vor Ort hat, sondern diese auch erklärten, bislang weder „sichtbare Hinweise auf Minen noch Sprengsätze“ entdeckt zu haben, wie sich IAEA-Generaldirektor Rafael Mariano Grossi gestern erneut vorsichtig äußerte. Ausgeschlossen wird es natürlich nicht. Daher wird nach den neuen Behauptungen verlangt, dass die IAEA-Beobachter Zugang zu den Dächern der Reaktoren 3 und 4 erhalten sollen, wo angeblich Sprengsätze angebracht worden sein sollen, aber auch zur Turbinenhalle und Teilen des Kühlsystems. In den letzten Tagen habe es keinen Beschuss und keine Explosionen und keine Veränderungen der militärischen Präsenz gegeben. Der ukrainische Geheimdienst hatte behauptet, dass Russland Soldaten und Personal vom AKW abziehe.
Um die Menschen in der Umgebung des AKW auf einen möglichen Austritt von Radioaktivität vorzubereiten, sicher aber auch, um auf die angebliche Gefahr hinzuweisen, wurden in den von Kiew kontrollierten Gebieten Katastrophenübungen durchgeführt und Vorbereitungen für eine Evakuierung der Bevölkerung durchgeführt.
Auch in Russland wird weiter daran gestrickt, die Gefahr eines False-Flag-Anschlags auf das AKW hochzuhalten. So erklärte heute Leonid Slutsky, der LDPR-Parteichef und Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Internationale Angelegenheiten: „Alles weist daraufhin, dass Selenskij beabsichtigt vor dem Nato-Gipfel seine ‚letzte Karte‘ auszuspielen und das AKW Saporischschja zu sprengen. Das Ziel ist monströs – einen Terrorangriff zu nutzen, um die Schuld Russland zu geben und den kollektiven Westen direkt in den Ukraine-Konflikt hineinzuziehen.“ Slutsky schreibt, nach Rosenergoatom wären einige Regierungschefs gestern nacht im engen Kontakt mit Selenskij gewesen: „Der Grund ist kristallklar. Sie wollten den ukrainischen Führer, der seinen Verstand nach der abgewehrten ‘Gegenoffensive’ verlor, seine Pläne aufzugeben.“ Er machte Brüssel und Washington für die möglichen Folgen einer Explosion im AKW verantwortlich.
Die American Nuclear Society veröffentlichte zur Gefahreneinschätzung am Mittwoch eine Erklärung, in der es heißt: „Unsere Experten haben sorgfältig ‚Worst-Case-Szenarien‘ erwogen, einschließlich Bombardierung und vorsätzlicher Sabotage der Reaktoren und der Lagerbehälter für abgebrannte Brennelemente. Sie können keine Situation vorhersehen, die zu strahlenbedingten gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung führen würde.“ Eine Zerstörung oder Beschädigung der Sicherheitsbehälter sei „höchst unwahrscheinlich“, und selbst dann, „würde jede mögliche Freisetzung von radiologischem Material auf die unmittelbare Umgebung der Reaktoren beschränkt bleiben. In dieser Hinsicht ist jeder Vergleich zwischen dem AKW und „Tschernobyl“ oder „Fukushima“ sowohl unzutreffend als auch irreführend.“ Für die Nuklearindustrie scheinen damit AKW kriegssicher zu sein, weswegen man ruhig weiter Atomkraftwerke bauen kann.
Eigentlich wurde von russischer Seite schon behauptet, dass die Ukraine am 5. Juli zuschlagen wollte. Da ist aber nichts geschehen. Budanow, der große Zukunftsguru der Ukraine und Chef des Militärgeheimdienstes GUR, verbreitet nun schon, dass die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags auf das AKW geringer werde. Genaueres sagte er gegenüber der britischen Times nicht, sondern sprach nur vage von „bestimmte öffentlichen und nichtöffentlichen Maßnahmen in diesem Bereich“, die man ausgeführt habe, was die Gefahr einer „künstlichen technogenen Katastrophe„ reduziert habe. Das könnte bedeuten, dass ein Anschlag geplant worden sein könnte, was man aber dann doch auf Druck der Unterstützerstaaten doch nicht machte. In Russland war gemutmaßt worden, Budanow sei bei einem Raketenangriff getötet worden, was sich als Falschinformation herausstellte. Gleichwohl gibt sich der junge Geheimdienstchef geschmeichelt, das er im Visier Russlands steht. Das sei wie eine „Medaille“. Budanow, der auch immer wieder verbreitete, Putin sei krank und es würden Doppelgänger herumgeistern, gibt sich auch überzeugt, dass Russland kurz vor einem Bürgerkrieg stehe. Und er kündigt an, dass man weiterhin die „Unmenschen“ durch „direkte Aktionen“ weltweit eliminieren wird.
Selenskij steht weiterhin unter erheblichem Druck, bislang keine wirklichen Erfolge mit der Offensive geliefert zu haben. Gegenüber CNN sagte er, er habe die Offensive schon viel früher starten wollen, weil dann die Russen weniger Zeit gehabt hätten, ihre Verteidigung aufzubauen und Minen zu verlegen. Schuld an der Verzögerung seien die späten Waffenlieferungen. Schwierigkeiten auf dem Schlachtfeld, er nannte die Verminung, würden jetzt die Offensive verlangsamen.: „In einigen Richtungen werden sie uns die Möglichkeit geben, die Gegenoffensive zu starten. In einigen Richtungen können wir nicht einmal daran denken, sie zu beginnen, da wir nicht über die entsprechenden Waffen verfügen. Und es wäre einfach unmenschlich, unsere Leute durch russische Langstreckenwaffen töten zu lassen.“
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Titelbild (Archiv): Atomkraftwerk Saporoschje © Alexei Konovalov/TASS
Dieser Artikel ist ursprünglich auf dem Portal „Overton Magazin“ erschienen und wird mit dem Einverständnis des Autors veröffentlicht.
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